Der Augenblick der Liebe
Und in einem einzigen Augenblick liegt alles in seinem Blut. Ein Riesenmord in Nullkommanichts. Die Flasche war jetzt leer. Wieder dieser Wunsch, Alkoholiker zu sein. Das, was er jetzt fühlte, immer zu fühlen. Diese uneingeschränkte Sichselbst überlassenheit. Nichts Verlogeneres als das Gerede von der Verantwortung. Damit halten sie uns unter der Fuchtel, und selber leben sie drauflos. Das ist das Schöne, das Drauf losleben. Photographiert wird die Verantwortungsvisage in Hochglanz oder achtbändig.
Als sie anrief, ihn hinüberrief zu sich, kam er sich betäubt vor. Oder wie betäubt. Er lächelte zwar, als er eintrat bei ihr, aber lebloser als dieses Lächeln konnte nichts sein. Das spürte er. Und sie sah es auch. Er hatte die BourbonFlasche in der Hand. Hielt sie gegen das Licht. Da war noch etwas drin. Eine BourbonFlasche ist nie ganz leer. Beate lag auf dem Bett. Im Kimono. Er setzte sich auf den Bettrand, nahm ihre Hand wie ein Arzt. Ihr Mund schien jeder Fassung entglitten. Zorn oder Tränen, etwas anderes konnte er wohl nicht produzieren in ihr. Lieber Zorn. Er dachte an Anna. Das war ihm, als er allein in seinem Zimmer war, gar nicht so deutlich geworden: Er wollte zu Anna. Die im Kimono, da auf dem Bett, diese junge Frau produzierte in ihm den Wunsch, bei Anna zu sein. Seine Sinne sind seine Philo sophen!
Und, sagte er.
Beim Essen sei nicht mehr über Mr. Krall gesprochen worden, kein Wort mehr über Rise to the occasion. Zum Glück. William Blondel sei gefeiert worden, Machine and Moral. Nur Rick habe, neben ihr sitzend, schnell einmal herübergefragt: Lebt er noch.
Als Gottlieb nach der Flasche greifen wollte, die er auf dem Nachttisch abgestellt hatte, war sie schneller als er. Sie setzte die Flasche an den Mund, trank sie aus, als sei es Mine ralwasser, und sagte: Du kriegst nichts mehr von diesem Zeug.
Er sagte: Zu spät.
Aber jetzt hatte er eine Rolle. Der Betrunkene. Von lauter Mißlichkeiten getroffen, hat er zur Flasche gegriffen, und jetzt ist er eben betrunken. Sie zog ihn zu sich. Schließlich hatte er dann doch nichts mehr an. Sie glaubte offenbar fest daran, daß ein Mundbehandelter zu allem, was man so von ihm verlange, im Stande sei. Er konnte sich nicht verkneifen, das mit Hiesigem zu kommentieren. Gottlieb war ja gierig auf amerikanische Prägungen, die im Deutschen nicht zu schaffen waren. Tatsächlich interessierte er sich hier weder für Gebäude noch für Brücken, sondern nur für das, was die Menschen zu sagen vermochten. Daß er keinmal den Investor¹s Business Daily ausließ, war er Anna schuldig. Gerade hatte er im Fernsehen einen Ausdruck aufge schnappt, den er, als Beate sich in ihrer Zuwendung verlor, einfach aufsagen mußte: Oral communication skills.
Sie ließ sich nicht stören. Also probierte er selber weiter: Oral proficiency. Sie bewies ihm, daß im Augenblick Sprache nicht gefragt war. Es siegte das amerikanischerotische Leistungsprinzip. Rücklings auf ihm lag sie jetzt. Als komme es darauf an, daß sie beide vom selben Punkt aus in den Himmel beziehungsweise zur Zimmerdecke hinauf starrten. Und darauf kam es eigentlich auch an. Wie zur Justierung, daß sie wirklich von einem Punkt aus hinaufstarrten, steckte sie sich das geträumte Unding hinein. Jetzt waren sie aufeinandergenagelt, sahen gemeinsam nach oben. Al lerdings gab es da oben in der weißen Zimmerdecke nichts zu sehen. Aber das war doch auch etwas. Fand Gottlieb. Und als alles offenbar gut ausging, sagte sie: Know the score. Gottlieb war zu wenig Sportsmann, um jetzt sofort mit
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