Der Augenblick der Liebe
Bourbon. Den würde er an diesem Abend trinken. Ihm war nach Bewußtlosigkeit. Er war zwar ganz und gar einverstanden mit sich, aber er wußte nicht, wie er sich anderen verständlich machen sollte. Beate, zum Beispiel. Am liebsten hätte er Beate jetzt einen Abend lang, eine Nacht lang von Anna erzählt. Er mußte ihr den Traum erzählen, den er noch in der letzten Nacht daheim geträumt hatte: Er sah sich scheißen, sollte in ein tuchenes Gefäß treffen, verfehlte es, aber Anna zog seine Kotstange durch die Tuchwand durch, alle Unreinlichkeit war vermieden. Sobald sie sein Zeug durch die bereitwillig sich öffnende Tuchwand durch hatte, fing sie an, mit ihren Händen in dem Kot zu fingern, zu suchen und dazu sagte sie: Oh, was haben wir denn da? Bei wem war er denn jetzt wieder? Und hatte offenbar Beweise in ihren Händen, Beweise für seine Untreue mit einer Frau, die zu nennen nicht mehr nötig war. Nach diesem Traum war Gottlieb in einer Stimmung vollkommener Trostlosigkeit aufgewacht. Er fieberte sozu sagen Tag und Nacht seinem Abflug entgegen. Dann dieser Traum. Dieser Traum vernichtete alles.
Jede Zukunft. Jede Gegenwart. Er wußte nicht, warum. Aber er fühlte sich vernichtet. Anna hatte das bemerkt, hatte gefragt, was ihm fehle. Welch eine Frage, hatte er gedacht. Gesagt hatte er: Ein Traum, den ich dir nicht erzählen kann. Sie hatte gesagt, sie habe auch geträumt. Da er nicht nach ihrem Traum fragte, hatte sie gesagt, sie wisse, daß ihn ihre Träume nicht mehr interessierten, da er jetzt auf andere Träume abonniert sei − womit sie bewies, wie erfolgreich sie ihn überwachte −, aber sie sage ihm trotzdem, was sie geträumt habe. Sie sei im Traum geohrfeigt worden. Von einer ihr unbekannten Frau. Und als sie gefragt habe, warum, habe diese Frau gesagt: Weil sie sich von dem habe heiraten lassen. Gottlieb hatte gesagt, genauer könne man nicht träumen. Bis zu den ten o¹clock news hatte er die Flasche Jim Beam fast ausgetrunken. Er hatte das Gefühl, der Bourbon gebe ihm die Kraft, allein zu sein. Er konnte sich gehen lassen. Er hatte nichts dagegen zu denken, wie er dachte. Wie es dachte. In ihm. Bitte. Ich lasse euch alle köpfen. Nicht gleich. Aber später. Bis dahin schmeichle ich euch. Auf eine begabte Art. Ich will den äußersten Effekt. Kein Argwohn mehr. Ihr müßt mich für total gezähmt halten. Ich gehöre dazu. Auf mich kann man sich verlassen. Ich trage dazu bei, daß das System erfolgreich ist. Immer noch erfolgreicher. Immer noch legitimer. Vor allem das: legitimer. Das ist meine Hauptarbeit: Legitimitätsbeschaf fung. So gut ich eben kann. Davon lebt ja das System, daß jeder da, wo er leibt und lebt, das Großeganze legitimiert. Dann laß ich euch alle köpfen. Das wird eine Überraschung. Das hättet ihr nicht gedacht. Andererseits gibt es nichts Konformeres, Typischeres als mich. Macht alles mit und sinnt auf Vernichtung dessen, was ihn gemacht hat. Ich glaube, ich bin der Inbegriff dieses Systems. Dieser Westwelt. Ich bin wahrscheinlich längst Amerikaner. Nicht wirklicher Amerikaner, der daheim ein liebwerter, begabter Nachbar ist, sondern SystemAmerikaner, IdeologieFuzzi. Im Reprä sentanten verliert sich nach oben hin alles, was an Ort und Stelle liebenswürdig war. In mir kommt das System zu sich selbst. Die vom System in jedem produzierte Feindseligkeit, in mir erscheint sie, bricht sie heraus. Ich werde das Signal geben, auf das hin alle losstürmen, die, ohne sich mit einander verständigen zu müssen, gewartet haben.
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