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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Die  erste  Minute  sagt  es,  entscheidet  es.  Man  kann  sich natürlich täuschen. Und getäuscht werden. Nichts ist so  ungesichert  wie  ein  Wiedersehen.  Nichts  müßte  so  einfach  sein wie ein Wiedersehen. 
    Gottlieb   konnte  sich  nicht  vorstellen,  daß  dieses  Wieder sehen am Flughafen in Stuttgart mißraten könnte. Schließlich  hatte  er  zweimal  umgebucht.  Das  mußte  ihr  doch  etwas  sagen. Und als er seine zwei Gepäckstücke abstellte, um ihr  die Hand zu geben, sie dabei ein wenig zu sich herzog und  dann umarmte und dann nicht links und rechts mit Lippen berührung abfertigte, sondern sie einigermaßen drückte und  presste, fast schüttelte, da spürte er: Dieses Wiedersehen ist  gelungen.  Es  herrschte  unbesprochenes  Einvernehmen  darüber,  daß  jetzt  nicht  viel  zu  reden  sei.  Gottlieb  präsen tierte ihr,  was er im Flughafen Dulles gekauft hatte: Chanel  Nr. 5. Dazu grinste er, damit sie sehe, daß er einen früheren  Gottlieb  imitiere,  auch  ein  bißchen  parodiere.  Aber  dann  mußte er doch noch sagen: Ich liebe dich wieder einmal wie  noch nie. 
    Die   Fahrt  in  der  Frühlingssonne  empfand  er  als  einen  theatralischen,  das  heißt  übertriebenen,  das  heißt  sich  ver selbständigenden  Ausdruck  einer  Gemeinsamkeit.  Fraglos  einig.  Aber  Anna  störte  noch  einmal.  Mitten  in  die  Musik,  von der er sich jetzt ausgefüllt und bewegt fühlte, mußte sie  die neuesten Kindernachrichten bekanntgeben. Gestern habe  Julia  angerufen.  Mit  der  leblosen  Stimme.  Die  Mutter  sollte  leiden  unter  dieser  leblosen  Stimme.  Sie  sollte  nachfragen:  Julia, was ist los, was fehlt dir. Das habe sie getan. Und Julia:  Sie weiß nicht, wer sie ist. Mehr nicht. Schweigen. Aufgelegt.  Gottlieb  steuerte  bei:  Als  das  letzte  Mal  alle  dagewesen  waren, hatte Julia ihn zum Essen gerufen, er war gekommen,  Regina fehlte noch, also hatte er gesagt: Du hast eine schöne  Stimme, ruf Regina zum Essen. Da sie sich weigerte, rief er,  Julia  imitierend,  Regina  zum  Essen.  Regina  kam,  Julia  ging.  In ihr Zimmer. Am Essen nahm sie nicht teil. Als sie an ihm  vorbeigegangen  war,  hatte  sie  gesagt:  Kabarettist.  Ja,  sagte  Anna  und  übernahm.  Am  letzten  Sonntag,  unsere  Erlangerin.  Zwei  Tage  davor  ein  Brief,  ein  echter  Magda Brief,  du  mußt  ihn  lesen.  Dann  steht  sie  vor  der  Tür,  bleibt  eine  kurze  Nacht.  Redet  nicht  viel.  Du  kennst  sie  ja.  Inhalt:  Sie  habe  zum  Glück,  seit  sie  aus  der  Schule  sei,  kein  Glück  mehr  gehabt.  Also  auch  keine  Enttäuschung  mehr.  Ihre  Arbeit  sei  zum  Glück  so  spannend,  daß  sie  nicht  dazu  komme, irgend etwas zu vermissen. Die Mehrwertsteuerent wicklung  sei  ein  einziges  Abenteuer.  Und  daran  mitzuwir ken, erlebe sie als Privileg. Und zweimal pro Woche im Chor  zu singen sei Levitation pur. Sie habe den Chor gewechselt.  Nicht  mehr  im  MatthäusChor,  sondern  im  Altstädter.  Von  ihrem  Schwarzen  nichts.  Und  Regina,  sagte  Anna.  Gottlieb  mußte also fragen: Ja. Was ist mit Regina? Jetzt bleibt mir nur  noch der Zirkus selbst, habe Regina gesagt. Sie trainiere, weil  die Agentur andauernd am Kippen war und jetzt gekippt ist,  seit zwei Jahren eine Nummer. Mit einem Chinesen. Regina  an  einem  aufrecht  stehenden  Sarg,  der  Chinese  wirft,  als  Indianer  kostümiert,  mit  verbundenen  Augen  siebenund zwanzig Messer auf Regina. Sie ist, daß sie nicht hin und her  zucken  kann,  an  den  Sarg  gefesselt.  Sie  singt  eine  Melodie,  eine  in  dreizehn  Tönen  aufsteigende,  auf  einem  Höhepunkt  ankommende  und  dann  in  dreizehn  Tönen  absteigende  Melodie, Vorbild: der Sterbegesang der Apachen. Der India nerChinese wirft die Messer Ton für Ton, er wirft also nach  dem Gehör. 
Unglaublich, sagte Gottlieb. 
     
Und Anna: Stimmt. 
    Die   Szene  erinnerte  Gottlieb  an  die 

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