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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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dachte er, ist und bleibt das Mädchen. 
     
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
   
  IV.   

Kehre 
 
     
 
 
                                             
 
    I.  
 
 
 
Der  Friseur  sagte:  Darf  ich  Ihnen  das  anreichen?  Und  hielt  ihm, nach dem Haarewaschen, ein kleines Handtüchlein hin,  womit er sich die Augen auswischen konnte, falls Shampoo  hineingekommen sein sollte. Gottlieb sprang nicht auf, erhob  sich  aber  doch  sehr  plötzlich,  legte  das  Geld  auf  den  Kassentisch und ging. Gerade, daß er noch die umgehängten  Tücher loswerden konnte. Was es zur Zeit kostete, wußte er.  Seit fünfundzwanzig Jahren kam er in dieses Geschäft. Aber  jetzt  nicht  mehr.  Nie  mehr.  Darf  ich  Ihnen  das  anreichen.  Hatte  der  das  fünfundzwanzig  Jahre  lang  gesagt,  und  Gottlieb war dieser Satz fünfundzwanzig Jahre lang nicht auf  die  Nerven  gegangen?  Dann  war  es  höchste  Zeit,  daß  er  reagierte. 
    Sobald  er draußen war, rannte er. Er hatte Angst, er könne  umkehren und sich bei seinem Friseur, der ja wahrhaft sein  Friseur  war,  entschuldigen.  Anna  sagte  er  nichts  von  dem  plötzlichen  Aufbruch  im  Friseurgeschäft.  Was  der  Friseur  über  ihn  dachte,  durfte  ihn  nicht  kümmern.  In  ihm  breitete  sich eine Art Zufriedenheit aus: Er hatte getan, was er wollte.  Er  hatte  sich  einmal  nicht  mehr  ganz  beherrscht.  Er  fühlte  sich fast wie in der Badewanne. In der er nie lag, weil er von  Anfang  an  nicht  baden,  sondern  nur  duschen  gelernt  hatte.  Alles falsch sehen, das wollte er. Das wollte er dürfen. Keiner  Erwartung entsprechen. 
    Schluß   mit  entsprechen.  Don¹t  rise  to  the  occasion.  Und  gestand sich jetzt doch ein, daß der cholerische Anfall nicht  vom  Friseur  provoziert  worden  war  und  nicht  dem  Friseur  gegolten hatte. Sein Spiegelbild war es. Er hielt sein Spiegel bild  nicht  mehr  aus.  Eine  halbe  Stunde  dieser  Fratze  ausgesetzt zu sein −, das war unzumutbar. Was die Jahre in  seinem  Gesicht  angerichtet  hatten,  das  mußte  er  nicht  auch  noch  anschauen.  Dreißig  Minuten,  achtzehnhundert  Sekun den  lang,  präsentiert  von  einem  kristallscharfen,  alles  entblößenden Friseurspiegel. Er mußte einen Friseur finden,  der  ihm  die  Haare  vor  einem  verhängten  Spiegel  schnitt.  Basta. 
    Als   er  noch  fünfzig  Meter  von  zu  Hause  entfernt  war,  überholte  ihn  Anna.  Sie  fuhr  winkend  vorbei,  ließ  das  Ga ragentor  offen,  war  glücklich,  weil  der  Rechtsanwalt  aus  Göppingen jetzt endlich den Vorvertrag für das Bauernhaus  in Wintersulgen unterschrieben hatte. Und das vielleicht nur,  weil sie ihm für seine Analthrombose zu einer Blutegelsalbe  geraten hatte, und die hatte inzwischen gewirkt, der Kunde  ist geheilt. 
    Gottlieb   schaute  zu,  wie  sie  Pflänzchen  auspackte,  die  sie  für ihren Kräutergarten gekauft hatte. Wollte er gesund sein?  Solange  er  gesund  war,  bezweifelte  er  das.  Er  langte an  die  Warze,  die  er  im  Nacken  am  Haaransatz  hatte,  besah  seine  Fingerspitze, sie war blutig. Er langte noch einmal hin. Seine  Warze  blutete.  Zum  Glück  war  Anna  mit  ihren  Kräutern  beschäftigt.  Dr.  Matusaka  hatte  gesagt,  für  die  Lähmung  könne  ein  Bronchialkrebs  in  Frage  kommen.  Aber  seine  Stimme war vollkommen gesund. Der Doktor hatte Gottlieb  geraten,  einen  halben  Ton  tiefer  zu  sprechen,  als  er  es  gewohnt  war.  Es  sei  am  Anfang  ein  bißchen  beschwerlich,  tiefer zu sprechen, als man es gewohnt sei, aber man könne  das zur Natur werden lassen. Gottlieb hatte den einzigen Rat  des  japanischen  Arztes,  den  er  befolgen  wollte,  vergessen  gehabt.  Und  es  tat  sofort  gut,  tiefer  zu  sprechen.  Es  ent spannte,  verlangsamte.  Anna  merkte  es  gleich.  Er  klärte  sie  auf.  Ihr  leuchtete  diese  Umstellung 

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