Der Augenblick der Liebe
sofort ein. Jetzt konnte Gottlieb den japanischen Arzt ausführlich loben. Sie werde Gottlieb kontrollieren und ihn sofort darauf hinweisen, wenn er wieder einen halben Ton in die Höhe rutsche. Gar nicht genug wundern konnte sie sich darüber, daß ihr bisher noch nie in den Sinn gekommen sei, Stimmbandprobleme durch Tiefersprechen zu behandeln. Und führte ihn auf die Terrasse. Zur Sonnenblume. Die hält sich, sagte Anna. Anna wollte also über die Sonnenblume auf die Spenderin kommen. Gottlieb sagte: Unglaublich. Anna sagte: Ein Blu menwunder. Und Gottlieb: Deine Pflege.
Anna sagte, die Blume stehe noch genau da, wo sie am Tag des Besuches hingestellt worden sei. Anna habe das Wasser nicht gewechselt. Vielleicht sei die Blume mit einem Gift behandelt worden, das jede Art von Biologie verhindere.
Du hast sie ersetzt. Das ist nicht die Sonnenblume, die die Besucherin gebracht hat. Er habe sich im ersten Augenblick verblüffen lassen, jetzt sehe er, daß es gar nicht die selbe Sonnenblume sei.
Und Anna: Es ist die selbe, ich schwör¹s.
Und Gottlieb: Aber sie hat jetzt ein anderes Gesicht, eine andere Stimmung.
Das habe sie auch bemerkt, sagte Anna. Sie führe das auf das zurück, was die Spenderin erlebt habe oder jetzt erlebe. Wie, findet Gottlieb, sieht die Sonnenblume jetzt aus?
Vorher war es, sagte Gottlieb, eine runde dunkle Uner gründlichkeit, vollkommen beschirmt von einem makellosen gelben Blätterkreis. Sie sah aus, als wisse sie, daß man, sie anschauend, nichts mehr wollen könne, als sie anzuschauen. Sie hatte sozusagen alles Selbstbewußtsein der Welt.
Und jetzt, fragte Anna.
Sie ist verstört, zerstört. Die Blätter stehen so, als wolle kein Blatt mit dem nächsten Blatt noch irgendetwas zu tun haben. Jedes sträubt sich gegen jedes. Das dunkle Rund, löchrig, verwüstet. Er wundere sich nur noch darüber, daß er das nicht sofort gesehen habe.
Das Sehen braucht mehr Zeit als das Hören, sagte Anna. Durch das Hinschauen verändert sich das Angeschaute andauernd. Der Sehende produziert das Gesehene. Mehr als der Hörer das Gehörte.
Gottlieb sagte: Unglaublich.
Und Anna: Was?
Und Gottlieb: Du.
Anna nahm den Krug mit der Sonnenblume und trug ihn hinaus. In den Garten. Als sie zurückkam, machte sie durch eine Geste deutlich, daß Gottlieb nicht fragen sollte. Man nennt das Entsorgung, sagte sie.
Als sie beide im Haus waren, läutete das Telephon. Anna machte pantomimisch klar, daß Gottlieb den Telephondienst wieder zu übernehmen habe. Gottlieb meldete sich. Es war der vom Kamingeschäft. Als erstes sagte er: Sind Sie krank? Gottlieb sagte: Nicht daß ich wüßte. Der mußte zuerst noch bemerken, daß Herrn Dr. Zürns Stimme zuerst geklungen habe, als sei Herr Dr. Zürn krank. Ja, also, ob sich Zürns entschieden hätten, welches Kamingitter sie nehmen wollten. Ja, sie haben. Sie nehmen das höhere. Das freute den. Er läßt es noch heute nachmittag einbauen.
Anna schüttelte den Kopf so schwer und so langsam, wie man ihn schüttelt, wenn man etwas überhaupt nicht mehr versteht. Gottlieb fragte nach. Aber Anna sagte: Laß nur. Gottlieb fragte, was er lassen solle. Anna war deutlich bemüht, jetzt nichts Trennendes entstehen zu lassen. Sie seien doch endlich wieder eines Sinnes, was sollen da die Bagatellen. Und kam zu ihm hin und legte ihm die Hände um den Hals. Und weil er spürte, dass sie sich anstrengen mußte, freundlich zu sein, mußte er fragen. Da brach es förmlich aus ihr heraus: Du hättest nach dem Preis fragen sollen. Kein Mensch bestellt eine Ware, ohne nach dem Preis
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