Der Augenblick der Wahrheit
erinnern wollte und das ich irgendwo auch in meinem Herzen trug. Es war ein nüchternes, schmuckloses Land, das aus den paar Ressourcen, die der Herrgott den Dänen geschenkt hatte, das Beste machte. Laut Presse war es ein Land, das in den Fugen krachte und wo die Leute befürchteten, von Ausländern über den Haufen gerannt und zu Muselmännern und Heiden gemacht zu werden, aber wenn man sich umschaute, war die Stadt Kopenhagen ganz die alte. An solch einem Sommertag konnte man tatsächlich vergessen, daß es in Dänemark so etwas wie einen November oder März gab. An solch einem Sommertag lächelte die Stadt, und ihr im Vergleich zu Madrid gemächliches Tempo und ihre Stille waren Balsam für die Seele.
Ich hätte es wohl kaum ertragen, hier wieder fest zu wohnen, aber mit der Wurst im Magen und dem Plappern des Wurstmannes mit den Kunden hinter mir ging es mir in der Tat so gut wie lange nicht mehr. Ich konnte nicht erklären, warum, nicht einmal mir selber, aber mir war, als keimte eine zarte Hoffnung, die Krise durchzustehen und nicht nur zu überleben, sondern auch wieder leben zu können.
Vielleicht hing es damit zusammen, daß ich mich auf Clara freute. Auf ihr Gesicht und ihr Lächeln, ihre melodische Stimme.
Sie war ziemlich geschäftsmäßig, als ich in einem kleinen Beratungszimmer im obersten Stock eines häßlichen Betongebäudes saß, in dem der Polizeiliche Nachrichtendienst residierte, während sich die gewöhnliche Polizei im Erdgeschoß um die örtlichen Verbrechen kümmerte. Es war ein praktischer, etwas kühler Raum mit weißen Wänden und funktionellen, hellen dänischen Möbeln. Keine anderen Gegenstände als meine beiden Fotos, ein Notizblock und ein Tonbandgerät. An den Wänden einige Reproduktionen unverbindlich abstrakter Bilder.
Ich hätte ebensogut in irgendeinem anderen modernen öffentlichen dänischen Büro mit gewissem Standard sein können. Außer Clara saß ein jüngerer Mann am Tischende. Sie stellte ihn als Kriminalkommissar Karl Jakobsen vor.
Der Taxifahrer, der mich hergebracht hatte, war irakischer Kurde und sprach ein schnelles Dänisch mit ausgeprägtem Akzent. Er war in den Vierzigern und hatte das Radio auf einen Lokalsender gestellt, der Oldies aus den sechziger Jahren spielte, was mich in eine angenehme nostalgische Stimmung versetzte. Zwischendurch erzählte eine Frau, wie man öffentliche Stütze erhielt, wenn einem etwas Schlimmes widerfahren war. Es wurde einem dann bei der Beschaffung so notwendiger Dinge wie neuen Brillen oder Rollstühlen geholfen.
»Sie wollen zu den Spionen?« hatte der Kurde gefragt, als ich ihm die Adresse der Polizeiwache Bellahøj nannte.
»Kann man so sagen«, meinte ich.
»Viel Zoff, ja.«
»Zoff?«
»Du dänisch, nich?«
»Ja. Aber ich wohne nicht in Dänemark.«
»Ah. So du nicht weißt. Polizeiliche Nachrichtendienst hat gelauscht bei legale politische Parteie von links und jetzt viel Zoff.«
»Das haben die immer gemacht. Kommunisten und Nazis und Terroristen und Russen beobachtet. Und was weiß ich. Dafür kriegen sie wohl auch ihr Geld«, sagte ich.
»Ja, aber jetzt sie wurden erwischt. Ein Agent hat in Fernsehen erzählt.«
»Aha. Sie wurden mit den Pfoten in der Keksdose erwischt.«
»Nein. Nicht Kekse. Sie gelauscht und spioniert gegen legal dänisch Partei. Geschrieben legal dänisch Partei in Register.
Spioniert gegen Kurden in Dänemark. Kurden legal in Dänemark, nicht? Viel Zoff.«
»Okay. Ich verstehe«, sagte ich, obwohl ich eigentlich überhaupt nichts verstand.
Ich überlegte, Clara Hoffmann danach zu fragen, aber die Stimmung war ziemlich offiziell, so daß ich es lieber ließ. Karl Jakobsen trug ein graubraun meliertes Jackett und einen diskreten Schlips. Er stand auf, reichte mir die Hand, setzte sich wieder und betrachtete mich mit kleinen braunen Augen. Seine Brauen hatten es nötig, gestutzt zu werden.
Clara griff zum Tonbandgerät und schaltete es ein.
»Peter Lime«, sagte sie. »Als erstes möchte ich Ihnen gern sagen …«
Ich streckte meine Hand nach dem Tonband aus, machte es aus und sagte: »Clara Hoffmann, bevor wir aufnehmen oder sonst was tun, möchte ich nur mal eben wissen, um was es sich hier handelt.«
»Ein paar Fragen«, sagte Karl Jakobsen gereizt. »Das ist alles.
Eine Klärung …«
»Ich habe nicht mit Ihnen gesprochen«, sagte ich.
»Clara …?«
»Na gut, Peter …«
Karl Jakobsen setzte sich im Stuhl auf und sah unwirsch aus und unterbrach sie.
»Es
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