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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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mehr«, sagte sie und nahm einen neuen Schluck.
    »Jedenfalls gibt es keinen Ring«, sagte ich.
    »Nein, aber du trägst ja deinen immer noch.«
    Einen Augenblick lang wurde alles dunkel, und die Luft schien kühl zu werden, aber sie merkte ihren Fauxpas, und legte ihre Hand auf meine.
    »Das war dumm von mir, Peter. Entschuldige bitte.«
    »Schon gut«, sagte ich.
    »Ich habe meinen an dem Abend ins Klo geschmissen, als Niels mit der Nachricht nach Haus kam, er würde ausziehen, aber damit muß ich dich nicht quälen.«
    »Ich will gern gequält werden, wenn du Lust hast, davon zu erzählen«, sagte ich.
    »Es ist eine völlig banale und durchschnittliche Geschichte. Es gibt Tausende davon.«
     
    »Die meisten Lebensgeschichten sind banal, aber das macht sie ja für einen selbst nicht weniger schmerzhaft«, sagte ich.
    Wohlerzogen legte sie Messer und Gabel nebeneinander auf den geleerten Teller, auf dem eben noch das Rinderfilet gelegen hatte, und als auch ich fertig war, zündeten wir uns eine Zigarette an, und sie erzählte gedämpft und beinahe sachlich, aber man spürte, daß es noch weh tat.
    Sie hatte Niels schon seit Studienzeiten gekannt. Als sie einundzwanzig war und mit der Polizeischule beginnen sollte, heirateten sie. Kennengelernt hatten sie sich auf einer Fete eines ihrer ehemaligen Schulkameraden, der mit Niels zusammen auf der Uni war. Er war damals fünfundzwanzig und studierte nach ein paar verunglückten Jurasemestern Politologie. Da war es natürlich gut, daß sie als Polizeischülerin Lohn erhielt. Sie waren glücklich gewesen, sagte sie. Sehr sogar. Sie waren füreinander geschaffen, das waren ihre Worte. Und wie in allen Beziehungen gab es auch bei ihnen ein Auf und Ab, und sie überstand ihre Stationierung in Esbjerg glücklich, während er in Kopenhagen blieb, um seine erste Anstellung im Finanzministerium anzutreten, über die er sehr froh war. Wenn sie jetzt auf die Jahre zurückblickte, war eigentlich eine ganze Menge passiert und zugleich womöglich gar nichts. Sie waren aus einer kleinen in eine größere Wohnung gezogen, und schließlich hatte er ihnen durch seine politischen Beziehungen zu den Sozialdemokraten eine billige herrschaftliche Wohnung in Österbro in Kopenhagen verschafft. Sie waren umgeben von Gleichgesinnten. Oft trafen sie sich mit seiner Familie. Clara war Einzelkind, ihre Eltern hatten sie spät bekommen und starben mit wenigen Jahren Abstand, als sie Anfang Dreißig war. Ihr Vater war Angestellter der Dänischen Staatsbahn und ihre Mutter Gehilfin in einem Kindergarten gewesen. Niels’
    Eltern waren Gymnasiallehrer, und obwohl er es nie freiheraus sagte, spürte sie doch, daß er ihre Eltern etwas langweilig und kleinbürgerlich fand. Anfangs hatten sie ein paar gemeinsame Freunde gehabt, aber mit der Zeit sahen sie nur noch seine Freunde aus den Ministerien. Sie durfte nicht von ihrer Arbeit erzählen und hatte auch den Eindruck, daß er die meisten Polizisten für beschränkt hielt. Zumindest schien ihr, daß er die Kollegen, die sie hin und wieder einlud, herablassend behandelte. Er liebte es fachzusimpeln, aber wenn sie selbst in ganz allgemeinen Formulierungen, die die Sicherheit erforderte, von ihrem Beruf sprach, verlor er rasch das Interesse. Nicht einmal, als er ins Staatsministerium befördert wurde und eine strenge Sicherheitsprüfung über sich ergehen lassen mußte, schien er ihr zuhören zu wollen, wenn sie das Bedürfnis hatte, schwierige Situationen ihrer Arbeit zu diskutieren.
    Aber sie hielt sich für glücklich. Sie liebte ihren Mann, und sie fühlte sich von ihm geliebt. Reisen war ihre gemeinsame Leidenschaft, aber sie hatten auch Interessen, die jeder für sich pflegte. Sie liebte Romane. Niels las nie etwas anderes als Fachliteratur. Sie waren beide sehr von ihren jeweiligen Jobs beansprucht und hatten lange Arbeitstage, versuchten aber, am Wochenende zusammenzusein. Er reiste viel, vor allem als er Verantwortlicher für EU-bezogene Gesetzgebung geworden war und häufig in Brüssel übernachten mußte, aber sie hatte Vertrauen zu ihm, und es fiel ihr nicht im Traum ein, ihn auszufragen. Er wußte, daß es immer Bereiche ihrer Arbeit gab, über die sie aus Sicherheitsgründen nicht reden durfte, und im engsten Kreis des Ministers gab es ebenfalls politische Erörterungen, die er für sich zu behalten hatte. Schon früh in ihrer Ehe, die sie auch als tiefe Kameradschaft empfanden, waren sie sich einig gewesen, keine Kinder zu haben. Als sie

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