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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Hitze im Körper hatte.
    Oder jedenfalls wußte, daß die armen Menschen, die in der spanischen Hauptstadt zurückgeblieben waren, unter einer feuchten Wärme stöhnten.
     
    Das Restaurant sah aus wie ein Raum, dem man eben eine Schicht Farbe verpaßt und in den man zufällig eine Handvoll Tische gestellt hat. In den Ecken hatte man absichtlich ein paar elektrische Anlagen unverputzt gelassen, vermutlich damit man an das mangelhafte Handwerk im Sozialismus erinnert wurde.
    Auf der Toilette brachte eine Endloskassette russischen Sprachunterricht. Während man pinkelte, durfte man sich mit Fragen vergnügen wie: »Wo kann man eine Briefmarke kaufen?
    Braucht dieser Brief nach Dänemark Extraporto?« Erst auf dänisch und dann in russischer Übersetzung. Auf der Speisekarte fanden sich Borschtsch, viele Sorten Wodka, Blinis und Kaviar für mehrere hundert Kronen. Die junge Bedienung trug Armeehosen und eine alte Mütze mit großem KGB-Emblem. Borschtsch wie Steak waren ausgezeichnet. Clara trank ein Bier. Ich trank ein Bier und einen Wodka. Hinterher bekamen wir einen Espresso.
    »Witziger Ort, an den du mich geschleppt hast«, sagte ich und ließ den Blick über das Lokal und die Armeehose und die Mütze der Bedienung schweifen. »So endet eine der brutalsten und todbringendsten Organisationen als Kitsch.«
    »Ich finde den Gedanken daran immer noch seltsam«, sagte Clara.
    »Die Berliner Mauer …?«
    »Daß man in Berlin nach der Mauer suchen muß. Daß sie verschwunden ist. Daß es ist, als ob es sie nie gegeben hätte. Als hätte sie nie Menschenleben gekostet. Als hätte man nie Leute eingesperrt. Daß die Sowjetunion nicht mehr existiert. Daß die Welt so total verändert ist und daß keiner es zu verstehen scheint.«
    »Viele Träume haben Schiffbruch erlitten, vielleicht waren es am Ende Alpträume, aber eigentlich waren sie schön, finde ich«, sagte ich.
     
    »Es war ein böses System. Ich finde, das sollte man nicht vergessen oder verkitschen. Würde man ein Restaurant eröffnen, das SS oder Gestapo heißt?«
    »Das wäre schlechter Geschmack, aber du hast den Ort hier ausgesucht«, sagte ich.
    »Ich fand, du solltest ihn sehen.«
    »Ich finde auch, es ist lustig, daß sogar der KGB als Witz enden kann.«
    Ihr Tonfall wurde ernst.
    »Das mein ich ja grade, Peter. Der KGB ist offenbar in Ordnung. Das hält man nicht für schlechten Geschmack. Das ganze alte kommunistische System ist heute ein Witz, obwohl es Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hat. Das scheint mir doch ein wenig seltsam. Als hätte das ganze Gulag-System nie existiert und als hätte es nie Dänen gegeben, die es unterstützt haben. Als hätte diese ganze Welt nie existiert, dabei war sie doch fast fünfzig Jahre lang ein nicht abzuschüttelnder Teil auch unserer Welt. Ist das nicht merkwürdig?«
    »Vielleicht ist es gar nicht so dusselig, daß manche Kids heute glauben, DDR sei ein Deodorant. Vielleicht ist es ein gutes Zeichen, daß ein krankes System nicht in einem großen Blutbad zugrunde ging, sondern mit einem kleinen Wimmern, und die ganze Welt sah mit verblüfftem Lachen zu.«
    »Vielleicht«, sagte sie. »Ich glaube nur, daß die Vergangenheit nicht so einfach verschwindet.«
    Diesmal ergriff ich ihre Hand und sagte: »Kannst du dir nicht freinehmen? Dann könnten wir Tourist spielen. Ich würde dich gern ins Tivoli einladen. Oder in den Tiergarten oder auf einen Spaziergang über die Strøg. Oder was Touristen in Kopenhagen sonst so unternehmen. Oder nach Paris. Oder nach Malmö.«
    Sie legte ihre Hand auf meine und sagte: »Ich hab bereits freigenommen, Peter. Ich hab einen Überstundenbuckel so groß wie ein Kamelhöcker, und wir haben unseren Bericht gestern abgegeben. Ich bin fertig, dank deiner Hilfe. Also: ja, danke. Ich nehme gern an.«
    »Was sollen wir machen?«
    »Ich würde gern eine Tour an den Strand machen. Ich glaube, heute ist der letzte richtige Sommertag«, sagte sie.
    Ich lachte.
    »Gute Idee. Und wie kommen wir nach Norden?«
    »Ich hab doch ein Auto, Peter. Wir fahren.«
    »Ich habe keine Badesachen.«
    Sie sah mich an.
    »Wo wir hinwollen, da gibt es keine neugierigen Blicke um diese Jahreszeit, an einem Werktag. Darüber brauchst du dir also nicht den Kopf zu zerbrechen, glaube ich.«
     
    18
    Sie fuhr sicher und schnell, aber nicht nordwärts, sondern zu meinem Erstaunen nahm sie die Holbækautobahn nach Westen und weiter Richtung Odsherred und nach Sjællands Odde hoch.
    Sie hatte dort als Kind ihre

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