Der Augenblick der Wahrheit
dänischen Journaille zu reden. Das wird die Hölle in diesem Land, wenn die Bombe heute abend platzt. Wir müssen sehen, daß wir über die Grenze kommen. Fahren wir nach Hause!« sagte ich.
»Das heißt, du kommst mit nach Madrid, Peter?« sagte Gloria erfreut.
»Ja, ich komme mit«, sagte ich. »Diese Geschichte hier hat lange genug gedauert.«
Dritter Teil
Vergessen oder Erinnerung
»Wir haben für eine Kombination aus Sozialismus und Freiheit gekämpft, ein erhabenes Ziel, das verpaßt wurde, von dem ich aber noch immer annehme, daß es erreicht werden kann. Ich stehe zu meiner Überzeugung, obwohl sie von der Zeit und der Erfahrung gemildert wurde. Aber ich bin kein Überläufer, und diese Erinnerungen sind nicht die Bitte eines Beichtenden um Sündenvergebung.«
Markus Wolf
»Alles, was wir tun, tun wir mit dem Einsatz des Lebens. Alle Augenblicke werden am Spieltisch zugebracht, auch wenn uns das nicht bewußt ist.«
Carsten Jensen
19
Der Sommer ging in den Herbst über, aber die Geschichte verging nicht. Damit hatte ich auch nicht gerechnet, aber daß es ein so gewagtes Spiel werden würde, konnte ich ja nicht ahnen, als wir Dänemark wie Diebe in der Nacht mit der Fähre nach Puttgarden verließen. Wir hatten einen Mediensturm entfacht, der Politiker und Journalisten etliche Wochen beschäftigte. Ich tat, als ginge er mich nichts an, und ließ die Anfragen der dänischen Presse an mein Büro unbeantwortet. Bitten um Interviews, Porträts. Wochenzeitungen, die den emigrierten Fotografen näher kennenlernen wollten. Das Ausschnittbüro schickte stapelweise Artikel aus dänischen Zeitungen und Illustrierten. Sie handelten von dem, was sie als Skandal bezeichneten, und dem fehlenden politischen Willen, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen. Und sie berichteten, wie die alten Frontkämpfer des linken Flügels einer nach dem anderen aufstanden und Auskunft verlangten, ob sie in den Akten vorkamen. Abgehört und überwacht worden zu sein schien wie ein Adelsbrief, eine Eintrittskarte zu einer ungeschriebenen VIP-Liste zu sein. Aber wie so oft beruhigte sich auch dieser Skandal in dem Maße, als die Medien mehr und mehr über andere Fälle zu schreiben hatten. Das war für die modernen Massenmedien der ganzen westlichen Welt symptomatisch. Sie waren außerstande, einem bestimmten Fall lange genug Aufmerksamkeit zu schenken. Wie unkonzentrierte Schulkinder mußten sie sich auf etwas anderes werfen, sobald ein Fall sie zu langweilen begann. Dann wurde er in speziellen Rundfunkprogrammen oder kleinen Tageszeitungen an den Rand gedrängt.
Die meisten Artikel handelten denn auch von dem Fotografen Peter Lime, der Quelle des ganzen Tumults. Ich wurde dargestellt als Maulwurf in der dänischen linken Szene Anfang der Siebziger, als mondäner Paparazzo, der sich am reichen Jetset der Welt rieb, als dickfelliger Fotoreporter, der sich an allen Brennpunkten der Erde herumtrieb, als dänischer Steuerflüchtling und als versoffener PND-Agent mit Nervenzusammenbruch, nachdem seine Frau und sein Kind von baskischen Terroristen ermordet worden waren. Ich wußte nicht, ob ich weinen oder lachen sollte, meistens tat ich aber letzteres, wenn ich Oscar und Gloria die übertriebensten Artikel übersetzte.
Eine Morgenzeitung und zwei Illustrierten schickten Reporter und Fotografen nach Madrid. Ich wies sie ab, obwohl sie an mein kollegiales Verständnis appellierten. Wieder war ich auf der anderen Seite des Objektivs. Sie fotografierten mich, wenn ich durch den Haupteingang unseres Bürogebäudes trat, und fragten Carlos am Empfang des Hotels Inglés aus, wohin sie mir gefolgt waren. Natürlich sagte er nichts. Meine Nerven lagen blank, und die langen Teleobjektive zeigten auf mich wie dieser ausgestreckte Zeigefinger auf dem amerikanischen Werbeplakat mit der Aufschrift »I want You for US Army«, der immer auf einen zeigt, einerlei aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.
Sie fanden den Bauplatz, an dem unser Haus gestanden hatte, und fotografierten ihn. Aber große Geduld hatten sie nicht, nach einer Woche reisten sie ab, und die Normalität hielt wieder Einzug.
Oscar und Gloria versuchten mich dazu zu überreden, meine alte Arbeit wiederaufzunehmen, aber ich hatte die Lust verloren, und schließlich beugten sie sich und zahlten mir ohne Dramatik meinen Anteil an der Firma aus. Sie wollten, daß ich mir einen eigenen Anwalt nähme, aber Gloria hatte immer meine Geschäfte geordnet und
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