Der Augenblick der Wahrheit
beleidigt und sauer gewesen, aber jetzt antwortete ich nicht, und Gloria fuhr fort: »Ich bin sicher, daß es zu Hause in Madrid einen guten Psychologen gibt, mit dem du sprechen und vielleicht einiges von dem lösen könntest, was dich quält. Ich weiß, daß du nicht so gerne über dich und deine Gefühle sprichst, aber vielleicht könnte dir gerade deshalb ein Profi helfen. Ich will nicht, daß du vor die Hunde gehst.«
»Keine Moralpredigt, Gloria«, sagte ich.
»Du kannst dem nicht entgehen«, sagte sie. »Wir sind deine Freunde, und Freunde sind dazu da, das zu sagen, was andere sich nicht zu sagen trauen.«
Oscar sagte: »Du kennst die modernen Frauen, Peter. Sie glauben an die Gnade des Gesprächs, so wie ihre Eltern an die Heilige Jungfrau glaubten. Sie sind überzeugt, daß alles auf dieser Welt durch Gespräche, ehrliche Gespräche gelöst werden kann.«
»Jetzt halt mal den Rand, Oscar«, sagte Gloria, aber ohne Zorn. »Peter braucht das Reden. Du und ich vergessen, was er durchgemacht hat. Wir wollen dich nicht verlieren.«
»Das Problem ist, daß ich dachte, etwas für sie zu empfinden, oder wenigstens, daß es dahin kommen könnte«, sagte ich. »Ich schien wieder zu leben … es schien wieder Licht vor mir zu geben. Als könnte ich vergessen … versteht ihr?«
»Ja. Und vielleicht wird es letzten Endes doch gut, Peter. Aber ein bißchen professionelle Hilfe würde vielleicht nicht schaden«, sagte Gloria.
Oscar lehnte sich vor.
»Da ist was ganz anderes«, sagte er. »Hast du mal daran gedacht, ob das hier eventuell von Anfang an geplant gewesen war?«
»Wie meinst du das?«
»Hör zu. Clara Hoffmann von der dänischen Geheimpolizei kommt mit einem Foto nach Madrid, und von da an ist die Welt für dich zur Hölle geworden. Das Foto hat auf irgendeine Weise eine Talfahrt ausgelöst. Wozu hat sie das Bild gebraucht?
Warum war es so wichtig, daß du nach Dänemark kommen und irgendeine alte dänische Klamotte bezeugen solltest? Was ist in Dänemark los? Frag dich das mal selber. Wozu brauchte die Polizei Lime und Limes Bilder?«
Mit einem Mal wurde es mir glasklar. Es war ja ziemlich einfach, wenn man daran dachte, was mir mein alter Kollege Klaus erzählt und was ich in den dänischen Zeitungen gelesen hatte. Der Polizeiliche Nachrichtendienst war dabei, eine bestimmte Art von Bericht auszuarbeiten, aber für wen? Clara war nach Madrid gekommen, um mich nach Lola und einem deutschen Terroristen zu fragen, vor allem aber war sie an einem jetzigen dänischen Folketingsmitglied interessiert, das vor fünfundzwanzig Jahren mit deutschen Terroristen in einer Wohngemeinschaft gelebt hatte. Warum?
»Einen Augenblick«, sagte ich, ging zum Empfang, ließ mir die Nummer der Fernsehnachrichten heraussuchen, lieh mir Oscars Handy und rief Klaus Pedersen an. Ich wurde ein paarmal weiterverbunden und bekam ihn endlich in einem Redaktionsraum an den Hörer. Er klang gestreßt und überarbeitet. Ich hörte, wie er, vermutlich mit seinem Techniker, einen Schnitt besprach.
»Ich habe höllisch viel zu tun, Peter. Können wir nicht ein andermal reden?« sagte er.
»Woran sitzt du?«
»Arbeit, Peter. Streß. Deadline. Remember!«
»Ist es was über den PND?« fragte ich.
Er verstummte einen Augenblick.
»Woher weißt du das denn?« sagte er dann.
»Worum genau handelt es sich?« fragte ich.
»Kurz gesagt, die Regierung hat den Polizeilichen Nachrichtendienst um einen Rechenschaftsbericht gebeten, welche legalen politischen Parteien, Gewerkschaften und so weiter der PND in den letzten dreißig Jahren infiltriert, belauscht und überwacht hat. Zum ersten Mal bekommen wir die Möglichkeit, ihnen in die Karten zu schauen. Ein wenig ihre Arbeitsmethoden zu betrachten, von ihrem Budget zu hören. Der Rechenschaftsbericht bringt nun nicht sehr viel Neues. Der linke Flügel ist fuchsteufelswild und fordert eine unabhängige Untersuchung. Sie halten nichts davon, daß sich die Polizei selber untersucht. Die Bürgerlichen sind im großen und ganzen zufrieden, und der Justizminister lehnt eine Untersuchung ab und meint, die Sicherheit des Landes vertrage nicht mehr. Das ist eine große Geschichte. Warum fragst du?«
»Wenn ich dir nun erzähle, daß es einen heimlichen Rechenschaftsbericht gibt, den der Justizminister erhalten hat und in dem steht, daß ein heutiges Mitglied des Folketings in seiner Jugend mit deutschen Terroristen zusammenwohnte, weswegen er mit einem verwässerten Rechenschaftsbericht auch
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