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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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sogar böse auf mich war, mit Vor-und Zunamen aussprach: Pedro Lime, nun sei mal kein Dickkopf!
    Es brachte mich immer zum Weinen, wenn ich ihre Stimme zu hören meinte. Mir war, als wäre sie wieder lebendig, aber wenn ich die Augen öffnete, sah ich nur Grabsteine oder höchstens eine einsame, schwarzgekleidete Witwe, die sich in der Ferne an einem Grab zu schaffen machte.
    Don Alfonzo hatte alles, was er besaß, mir vermacht. Er hatte ein kleineres Vermögen an Wertpapieren, aber sein bestes Geschenk war das Haus. Ich beauftragte Gloria, Tómas das Motorrad für einen Pappenstiel und das Haus bei San Sebastian etwas unter Marktpreis zu verkaufen, und zog in Don Alfonzos schönes Haus, umgeben von seinen klassischen Möbeln, der großen Büchersammlung, den rotchangierenden Geranien und den exklusiven Orchideen, mit deren Tod ich mich abfinden mußte. Es lag außerhalb meiner Fähigkeiten, sie am Leben zu erhalten. Im kommenden Frühjahr würde ich sein Treibhaus abreißen und ein kleines Atelier mit Dunkelkammer bauen und die Porträtfotografie wiederaufnehmen. Ich hatte auch Pläne, Landschaftsfotograf zu werden. Ich sah mich mit Stativ in der leeren spanischen Landschaft stehen und auf einen Kampfstier warten, der irgendwo in der Estremadura von den Höhen käme und sich träge auf mich zubewegen würde, während sich das Licht veränderte. Groß und schwer, mit wachsam erhobenen Ohren und die gebogenen, spitzen Hörner auf mich gerichtet. Er würde nicht aggressiv sein, da ihm andere Stiere folgen würden, und in der Herde sind die gefährlichen Tiere ruhig und fast folgsam. Er würde den Kopf heben, und das Licht würde auf ganz besondere Weise durch einen Olivenbaum und über seine Hörner und weiter auf ein vergilbtes Grasbüschel neben einer roten Wüstenblume fluten. Der Augenblick würde nur eine Tausendstelsekunde dauern. So sah ich mich alt werden: Allein am Stativ warte ich auf das richtige Licht, das das perfekte Bild ergeben würde. Da ich wußte, daß das perfekte Bild nicht existiert, würde ich immer danach suchen und somit immer etwas zu tun haben.
    Aber Mitte November rief Clara Hoffmann an. Es war Abend, der Himmel war schwarz, und der Regen, der schon am frühen Nachmittag angefangen hatte, trommelte noch immer auf das Dach und an die Fenster. Ich hatte nichts getrunken und las in einem von Don Alfonzos Büchern über den spanischen Bürgerkrieg und die Brutalität und die Gnadenlosigkeit, zu denen Menschen imstande sein können. Im Kamin flackerten die Holzscheite, die der alte Mann noch so exakt aufgeschichtet hatte, mir war warm, und ich war in angenehmer und ausgeglichener Stimmung. Die melodische dänische Stimme verwirrte mich zunächst und brachte dann mein Herz zum Klopfen.
    »Hier ist Clara. Clara Hoffmann aus Kopenhagen«, sagte sie.
    »Si«, sagte ich.
    »Bist du es, Peter?«
    »Ja. Entschuldige. Ich war gerade in ein Buch vertieft.«
    »Entschuldige, daß ich dich störe. Ich habe deine Nummer von deinem Büro bekommen. Eigentlich schon vor ein paar Tagen.
    Ich hoffe, das macht nichts.«
    »Nein, nein. Wie geht es dir?«
    »Danke, gut. Und dir?«
    »Es geht, danke. Alles klar, meine ich.«
    Es entstand eine Pause, dann sagte sie: »Ich habe oft daran gedacht, dich anzurufen.«
    »Das habe ich auch. Warum hast du es nicht getan?« fragte ich.
     
    »Ich weiß es nicht. Ich hatte wahrscheinlich Angst, zurückgewiesen zu werden. Und warum hast du es nicht getan?«
    »Wahrscheinlich war ich auch ängstlich. Und ein wenig beschämt«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung.
    Sie lachte sanft.
    »So ein tough guy!«
    »Ich bin gar nicht so tough, wie ich aussehe.«
    »Nein. Genau das bist du nicht. Jedenfalls nicht nur. Das mag ich ja gerade an dir«, sagte Clara.
    »Immer noch? Ich meine, trotz allem?«
    »Ich habe dich wirklich vermißt«, sagte sie.
    »Und ich dich«, gab ich zu – auch vor mir selbst.
    »Man sollte nicht glauben, daß wir erwachsene Menschen sind«, sagte sie.
    »Vielleicht gerade deshalb«, sagte ich.
    Dann entstand wieder eine Pause. Die Verbindung war hervorragend, bis auf ein schwaches Rauschen. Ihre Stimme kam klar durch.
    »Und was hat dich jetzt so mutig gemacht?« fragte ich dann.
    »Ich habe einen Anlaß«, sagte sie und schlug ihren Geschäftston an, aber ihre Stimme beeindruckte mich, und ich sah sie vor mir. Ihr Lächeln und ihren nackten Körper im Sand an der Sejerøbucht und die widerstreitenden Gefühle, die in meinem Kopf herumspukten. Sie hatte

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