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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Aufstiegsmöglichkeiten mehr gab. Ihr Examen hatte sie so weit gebracht, wie es ging, aber die ganz großen Posten lagen außerhalb ihrer Reichweite.
    Doch womöglich dachte sie gar nicht so. Ich gab ihr den Ausweis zurück. Felipe knallte die Gläser, Flaschen und Tapas und das weiße Kassenzettelchen auf den Tisch. Die Garnelen brutzelten heftig in Öl und Knoblauch. Der geräucherte, luftgetrocknete Schinken war in rasierklingendünne Scheiben geschnitten und fast in Blütenform schön auf den Teller drapiert worden.
    »Das sieht ja lecker aus«, sagte sie. »Was ist das genau?«
    »Bist du nie in Spanien gewesen?«
    »Auf Mallorca. Vor hundert Jahren. Ich bin mehr … – wie soll ich sagen –, meine Interessen waren mehr östlich orientiert.«
    »Russische Spione fangen?«
    »So ungefähr.«
    Sie lächelte. Ihr Gesicht veränderte seinen Charakter, wenn sie lächelte. Etwas von dem Schulfräuleinhaften verschwand, und ihre Augen wurden lebendig.
    »Das sind Garnelen in Knoblauch. Das sagt alles. Das andere ist Serranoschinken. Er stammt von ganz besonderen Schweinen, die ihr schönes Leben lang frei in den Bergen herumspazieren und irgendwelche ganz besonderen Wurzeln fressen. Die Schinken werden geräuchert, hängen dann mehrere Jahre in der Bar und werden besser und besser.«
    Vorsichtig nahm sie einen kleinen Bissen und aß dann das ganze Stück.
    »Davon muß ich was mit nach Hause nehmen«, sagte sie.
    »Ja. Das ist gut.«
    Wir nippten an unseren Getränken. Dann kam sie zum Geschäftlichen. Sie lehnte sich über den Tisch. Der Lärmpegel war hoch. Ich saß mit dem Rücken an der Wand, so daß ich die Tür beobachten konnte. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Ich kannte etliche Stammgäste, aber sie ließen mich zufrieden.
    »Ich will dich nicht lange aufhalten. Aber wenn ich ein paar Fragen stellen dürfte …?«
    »Nur zu.«
    »Am Telefon hast du etwas abweisend geklungen.«
    »Die Situation war ungünstig«, sagte ich.
    »Laila Petrowa«, sagte Clara Hoffmann, während sie sorgfältig mein Gesicht beobachtete. Ich dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf.
    »Sagt dir nichts?«
    »Überhaupt nichts. Wer ist das?«
    »Heute 48 Jahre alt. Kastanienbraunes Haar, vermutlich gefärbt. Schlank. 1,75 groß, Körperbau normal. Meist sehr geschmackvoll gekleidet. Ovales Gesicht, glatt nach ein paar Schönheitsoperationen. Dank Kontaktlinsen manchmal blaue, manchmal braune Augen. Fotogen. Kunsthistorikerin. Zweimal verheiratet … Den Namen des ersten Ehemanns kennen wir nicht. Später mit einem russischen Maler, von dem sie vor zehn Jahren geschieden wurde. Geborene Nielsen, nehmen wir an.
    Der Maler hieß natürlich Petrow.«
     
    »Sagt mir überhaupt nichts.«
    »Liest du keine dänischen Zeitungen?« fragte sie, während sie sehr gepflegt von dem Schinken und den Garnelen aß. Sie hatte Hunger. Ihre Magenuhr war noch nicht auf die spanischen Essenszeiten eingestellt. Sie brach das Brot in kleine Stücke und stippte Öl und Knoblauch damit auf. Sie trug keinen Ehering, aber einen dünnen Goldring mit blauen Saphiren an der rechten Hand.
    »Nein«, sagte ich. »Nur wenn ich über Ausschnitte stolpere.«
    »Ausschnitte?«
    »Ich bin Berufsfotograf. Was du wahrscheinlich weißt. Meine Firma beliefert die ganze Welt mit Fotos, und natürlich haben wir ein Ausschnittbüro beauftragt, damit wir sehen, wer unsere Bilder benutzt. Falls jemand das Copyright vergessen haben sollte.«
    »Entschuldigung. Natürlich«, sagte sie und fischte das letzte Stück Schinken vom Teller. Sie kaute sorgfältig und trank einen Schluck Wein, bevor sie sagte: »Dann kennst du die Geschichte also nicht. Laila Petrowa ist verschwunden. Sie war – ist –
    Leiterin eines der neuen, sehr großen, internationalen Kunstmuseen in Dänemark. Du weißt schon, Kulturjahr und so weiter. Sie ist verschwunden und hat den Rest des Ausstellungsbudgets mitgenommen. Ungefähr viereinhalb Millionen Kronen.«
    »Beeindruckend, aber warum kommst du nach Spanien, um mir von einem cleveren Frauenzimmer zu erzählen, das mit der Kasse stiften geht? Ich hab nie von ihr gehört. Das hätte ich dir auch am Telefon sagen können. Du hättest dem Steuerzahler die Reise ersparen können.«
    »Ja, aber dann hätte ich dir das hier nicht zeigen können«, sagte sie und zog eine Dokumentenmappe aus ihrer Tasche. Der Mappe, die auch Papiere zu enthalten schien, entnahm sie ein Schwarzweißfoto. Sie hielt es mir vor die Nase und betrachtete wieder

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