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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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gesucht. Meine deutschen Kollegen dachten, als die DDR zusammenbrach, sie hätten ihn, aber er löste sich in Luft auf. Fünfzehn Jahre hat er als Mechaniker in der DDR gelebt. Einer meiner deutschen Kollegen hat das Foto in der Bild am Sonntag gesehen. Es ist ja eine berühmte Geschichte, so daß die deutsche Boulevardpresse darüber berichtet hat. Er hat dein Bild gesehen. Und hat unseren Wolfgang erkannt. Dann hat er uns kontaktiert. Wir hatten keine Ahnung, daß Wolfgang dänische Verbindungen hatte. Wo ist das Bild aufgenommen?«
    Ihre Stimme war am Schluß scharf geworden. Als ob es keine freundschaftliche Unterhaltung mehr wäre, sondern ein Verhör.
     
    »Ich weiß es nicht. Ich bin nicht mal sicher, ob es meins ist. Es ist immerhin dreißig Jahre alt.«
    Sie reichte mir wieder das Bild.
    »Behalt es. Ich hab mehrere Abzüge. Denk drüber nach. Wühl in deiner Erinnerung, guck in dein Archiv, Lime. Hilf uns!«
    »Schon kapiert. Ich werd sehen, was ich machen kann.
    Felipe!«
    Felipe kam, ich bezahlte und gab ihm wie immer ein gutes Trinkgeld. Ich stand auf.
    »Ich ruf dich an«, sagte ich. »In ein paar Tagen. Genieß Madrid unterdessen.«
    »Auf Rechnung des Steuerzahlers«, sagte sie.
    »Ich zahle in Dänemark keine Steuern«, sagte ich, nahm meine Fototasche und verließ das Lokal mit einem unruhigen Gefühl, das ich nicht verstand und mir nicht erklären konnte. Aber die Zeit, aus der das Bild stammte, kehrte so nach und nach zurück.
    Ich fing an, mich zu erinnern, und nicht alle Erinnerungen aus jener Zeit sind es wert, gesammelt zu werden.
    Ich schob es von mir, als ich nach Hause kam. Ich wohnte schräg gegenüber dem Café in einer Eigentumswohnung im obersten Stock, die ich vor mehreren Jahren gekauft und mehrmals durch Nachbarwohnungen vergrößert hatte. Wir hatten über dreihundert Quadratmeter, inklusive Atelier und Dachgarten. Wir bekamen pausenlos Kaufangebote. Es war eine phantastische Wohnung mitten in der Stadt, so daß wir jedesmal nein sagten. Ich schloß auf und grüßte wie gewöhnlich Jacqueline Kennedy, die fast nackt in voller Größe gleich an der Tür hing.
    »Ich bin’s«, rief ich in die Küche, wo sich Amelia und Maria Luisa normalerweise zu diesem Zeitpunkt aufhielten. Ich schloß die belichteten Filme in den Safe und warf das Bild, das mir Clara Hoffmann gegeben hatte, auf meinen Schreibtisch, ehe ich mir die Hände wusch und mich mit meiner Familie zum Abendessen setzte. Immer ließ ich mich von der heimischen Geborgenheit und der Gesellschaft meiner beiden Mädchen verzaubern, denn sie erfüllte mich stets mit einem Glücksgefühl, vermischt mit der Angst, sie würden mich eines Tages verlassen.
    Amelia hatte Nudelsuppe gemacht, ein Steak mit Salat, und hinterher aßen Amelia und ich Manchego-Käse, und Maria Luisa bekam ein Eis. Es mag banal und alltäglich erscheinen, detailliert von einer einfachen und wohlschmeckenden Mahlzeit zu berichten, aber in der Banalität des Alltags hatte ich meine Ruhe gefunden. Mein wa, wie die Japaner sagen. In den Details des Alltags liegt die große Geschichte verborgen. Amelia und ich versuchten uns zu unterhalten, überließen das Gespräch dann aber doch Maria Luisa. Wir hörten sie schwatzen und freuten uns beide, daß sie der Mittelpunkt unserer Tafel war.
    Hin und wieder, wenn ich auf Reisen gewesen war, verlangte Maria Luisa, daß ich ihr eine Gutenachtgeschichte auf dänisch vorlas. Ich sprach selten dänisch mit ihr. Ursprünglich war es meine Absicht gewesen, aber es wirkte künstlich, da wir sonst mit Freunden oder der Familie immer nur spanisch sprachen.
    Aber schon als sie ganz klein war, habe ich ihr auf dänisch vorgelesen. Sie antwortete mir nie in meiner Muttersprache, aber offenbar gab es ihr ein Gefühl der Sicherheit, wenn sie die fremde Sprache von mir hörte. Ich steckte sie nach dem Abendessen in die Badewanne und las ihr Lieblingsbuch von Alfons Åberg vor, der einen heimlichen Freund hat. Sie hatte schwere und müde Augen, als wir ans Ende kamen, und schlief schon bei brennender Nachttischlampe, als ich aus dem Zimmer ging. Ich duschte rasch und kroch zu Amelia ins Bett, die nackt unter der warmen Decke lag. Die Geräusche der Stadt kamen durch das halb geöffnete Fenster, während wir uns liebten und eins wurden.
    Ich kann häufig nicht schlafen und stand auf, als Amelia ihren Kopf von meiner Schulter nahm und sich auf die Seite drehte.
     
    Wie schon so oft setzte ich mich auf unsere Dachterrasse, trank eine

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