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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Cola und rauchte in der warmen Nacht eine Zigarette. Mit dem Bild aus der Vergangenheit, das mir Clara Hoffmann überlassen hatte, umgeben von Geranien, Rosen, Eukalyptus, Apfelsinen-und Zitronenbäumen, hörte ich von der Plaza den Pulsschlag der Stadt. Das Klappern der Absätze, die brüllende Beschleunigung eines Motorrads, ein lachendes Pärchen, einen betrunkenen, jammernden Mann, eine zuschlagende Autotür, ein Gitter, das vor einer Bar heruntergelassen wurde, die heulende Sirene eines Polizeiwagens, den Fluch eines stolpernden Mannes, einen Menschen, der vor Glück ein Lied anstimmte: die Symphonie der späten Nachtstunden. Hier war mein Fenster im Himmel mit Blick auf Madrid. Hier konnte ich denken und in mir Ruhe finden. Als ich Mitte der Siebziger nach Madrid zog, hatte die Nacht noch eine andere Melodie gehabt, die Melodie des Flamenco, wenn die Leute rhythmisch in die Hände klatschten, um den Serrano zu rufen. Das war ein Wächter, der mit einem großen knorrigen Stock herumlief und die Schlüssel zu Wohnungen und Pensionen bei sich trug. Um ihn zu rufen, klatschte man in die Hände. Oft war es ein Kriegsinvalide aus dem Bürgerkrieg. Sein Lohn war der duro, die Fünfpesetenmünze, die er für das Aufschließen der Tür bekam.
    In den milden Sommernächten erklang rundum im Viertel das rhythmische Klatschen, als schlügen in den Liebesstunden zwischen Nacht und Morgengrauen Zigeuner einen lockenden Takt. Die alten Serranos gibt es nicht mehr. Der Fortschritt hat sie abgeschafft. Vereinzelt trifft man sie noch, aber das sind Museumsstücke mit festem Gehalt wie der Nachtwächter in Ebeltoft.
    Ich sah mir das Foto an. Es war auf einem Gartenfest in Bogense aufgenommen und in der Lokalzeitung abgedruckt worden, die es an eine Agentur weiterverkauft haben muß. Ich hatte der Zeitung eine ganze Serie von dem Fest verkauft – einer meiner ersten geglückten Versuche, Pressefotos zu veräußern.
     
    Lola war zwanzig und wohnte in derselben Wohngemeinschaft wie ich. Sie wollte Folksängerin werden, ein weibliches Gegenstück zu Bob Dylan. Wir hatten ein paarmal miteinander geschlafen. Sie ist nachts in mein Zimmer gekommen, aber sie ist in viele Zimmer gegangen. Es war eine WG, in der man der bürgerlichen Eifersucht zu Leibe rücken wollte. Das gelang natürlich nicht, aber Lola schien mit der nagenden Schlange Eifersucht am wenigsten Probleme zu haben. Die Probleme schaffte sie selber, weil sie attraktiv war und in verliebten Männern Besitzdenken aufkommen ließ. Der Mann auf dem Bild hieß nicht Wolfgang. Sein Name war Ernst gewesen. Er war jung, erst achtzehn, und kam aus Hamburg. Wie alle anderen wollte er Künstler werden. Er wollte Romane schreiben.
    Er war linksorientiert, aber ich erinnere mich nicht, daß er mit dem Gedanken an Bomben liebäugelte. Er nahm an den Diskussionen über die Notwendigkeit der Gewalt im Kampf gegen den bürgerlichen Staat teil, aber darüber schrieben andere ja sogar in bestimmten Zeitungen. Er war bis über beide Ohren in Lola verliebt gewesen, die mit ihm gespielt und mit ihm geschlafen hatte und dann in mein Bett oder das eines anderen gewechselt war. Er hatte sie mit unglücklichen Augen angesehen und war ihr gefolgt wie ein Hundewelpe seinem Frauchen.
    An mehr erinnerte ich mich nicht. Ich glaube nicht, daß ich seither in den vergangenen dreißig Jahren an Lola gedacht habe.
    Aber im nächtlichen Dunkel auf der Terrasse fiel mir plötzlich ein, daß sie bei unserem letzten Zusammensein geweint hatte.
    Ich glaube, es war das letzte Mal. Ich fand sie wunderbar und sexy, aber ich war nicht in sie verliebt. Ich wußte, daß ich weiter wollte. Ich wollte raus. Als sie erfuhr, daß ich die WG verlassen wollte, war es, als nähme ich ihr etwas von ihrer Macht.
    Ich wußte nicht mehr, wie die Liebe mit ihr gewesen war, aber in der Madrider Nacht hörte ich auf einmal ihre dünne Stimme.
     
    »Peter, mein einziges Talent ist, Männer zu verführen. Ich habe das Talent, Männer dazu zu bringen, daß sie machen, was ich will. Warum machst du nicht, was ich will?«
    Ich wußte nicht, warum ich mich daran so deutlich erinnerte.
    Ich wußte nicht einmal, ob es eine besondere Bedeutung hatte.
    Die Erinnerung kann einem die ulkigsten Streiche spielen. Kurz darauf zog ich aus der WG aus und reiste umher. So war das. In dieser seltsamen Zeit zogen die Leute ein und aus, da schien alles möglich, der Schmerz des Lebens wurde unterdrückt, und die Welt veränderte sich. Ich versuchte

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