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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Alter, daß ich meinen Beruf mehr und mehr in Frage stellte. Vielleicht war es nur das Unterbewußtsein, das mich auf die Katastrophe vorbereitete.
    Vielleicht ist man hinterher immer klüger.
    Jedenfalls ging ich umgeben vom sorglosen Leben und Lärm der Stadt ganz in Gedanken, als mir zwei Männer plötzlich den Weg versperrten. Sie waren groß und schlank, Mitte Dreißig und trugen gutsitzende Anzüge.
    »Señor Lime?« sagte der eine.
     
    Ich blieb stehen.
    »Sie sind festgenommen«, sagte der andere, während mir der erste mit sicherer Expertenbewegung die Arme auf den Rücken drehte und die Handschellen zuschnappen ließ.
     
    4
    Sie fuhren mich die paar hundert Meter die Calle Acalá zum alten massiven, roten Hauptquartier der Polizei und des Geheimdienstes an der Puerta del Sol hinunter. Das Zentrum Spaniens, wo der Kilometerstein Null steht und die Wände in dem dominanten Gebäude die vergessenen Schreie der zum Tode Verurteilten und Gefolterten verschluckt haben. Sie waren bestimmt, aber höflich, als sie mein Handy und die kleine Leica, ohne die ich nie ausging, beschlagnahmten und mich auf den Rücksitz setzten, während der eine seine Hand fest auf meinen Kopf drückte, um zu verhindern, daß ich mit dem Kopf gegen die Türkante schlug. Das Auto war ein großer weißer Seat. Auf den Innenseiten der Hintertüren gab es keine Griffe, aber trotzdem wurde ich solide zwischen den beiden Beamten untergebracht. Dort war ich wie ein Kind zwischen zwei Erwachsenen eingeklemmt. Sie wirkten sicher, gut trainiert und muskulös, als meine Schultern gegen ihre gepreßt wurden. Der Fahrer fuhr los, ohne zu grüßen und ohne sich umzudrehen. Wie die beiden hatte er ganz kurz geschnittene Haare, wie es bei Sondereinheiten üblich war. Sie antworteten nicht, als ich nach dem Grund meiner Verhaftung fragte. Spanien ist ein Rechtsstaat, aber durch die horrende Kriminalität und eine aktive Terrorbewegung wie die ETA sind Sicherheitsorgane und Polizei nicht so feinfühlend wie in Dänemark. Die Schwelle zu Gewalt und gesellschaftlicher Gegengewalt und daraus resultierenden Schwächen im Rechtsbewußtsein ist hier etwas niedriger. Zwanzig Jahre früher wäre ich völlig entsetzt gewesen. Da prügelte die Polizei noch immer Geständnisse aus den Leuten heraus, wenn sie meinte, nicht genug Beweise für eine Verurteilung zu haben oder schon ihr eigenes Urteil gefällt hatte. Das sparte Zeit, aber obwohl die Basken behaupteten, die Guardia Civil prügele immer noch, befürchtete ich keine Mißhandlungen. Ich fragte noch einmal, warum sie mich festgenommen hätten, und bekam wieder keine Antwort. Die Handschellen in meinem Rücken schnürten sich in die Handgelenke und drückten mir in die Hüfte, und es war unangenehm, daß ich mich nicht richtig halten konnte, wenn das Auto beschleunigte oder in die Kurve ging. Die Sicherheitsbeamten rochen nach Tabak, Knoblauch und einem Männer-Eau-de-Cologne, das sicher nicht zu den teuersten gehörte. Es war ein bedrückendes Gefühl, zwischen ihnen zu hocken und draußen das schöne, anarchistische Madrider Leben zu sehen, als wäre nichts geschehen. Als könnte das Leben einfach ohne mich weitergehen. Am liebsten hätte ich den Fußgängern mit ihren Siebensachen, den verliebten, Hand in Hand gehenden Paaren, dem gehetzten Geschäftsmann mit der Aktenmappe, dem Straßenkehrer mit der gelben Weste und seinem Wägelchen, den schicken Damen auf dem Weg von der Siesta zur Arbeit, den blau gekleideten Schulkindern, den Motorrollern und den Autos zugerufen: Hier sitze ich! Helft mir!
    Stoppt den Verkehr! Wie könnt ihr weiterleben, als wär nichts passiert!
    Wir fuhren ohne Blaulicht, der Verkehr blockierte uns. Die Scheiben waren getönt, und nicht einmal ein zufällig vorbeikommender Bekannter hätte mich sehen können. Ich atmete tief ein, um meine viel zu schnellen Atemzüge etwas unter Kontrolle zu bekommen, und sagte, ich wünschte, meinen Anwalt zu sprechen, aber sie ignorierten mich. Ich kannte das Gesetz gut genug: Wenn sie wollten, konnten sie den Gummiparagraphen der Terrorgesetzgebung geltend machen, mit dem sie mich auf jeden Fall achtundvierzig, vielleicht sogar zweiundsiebzig Stunden isolieren durften. Ich war kein Terrorist, aber das würde einen Untersuchungsrichter wahrscheinlich nicht kratzen, wenn der richtige Minister auf die richtigen Knöpfe drückte. Als wir auf die Puerta del Sol fuhren und ich die wohlbekannten und mit einemmal so fernen und unerreichbaren

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