Der Augenblick der Wahrheit
Person auf der Bühne der Öffentlichkeit sein wollten und daß sie unglücklich wurden, wenn sie die Rolle nicht zu Ende spielen konnten. Oder sie nicht ehrlich spielen konnten. Selbst Prinzessin Diana war sowohl Täterin als auch Opfer. Sie haßte uns, wenn wir auf der Lauer lagen, aber sie liebte uns, wenn wir uns in ihrem Machtkampf mit Ehemann und Hof benutzen ließen. Sie konnte ohne die Medien nicht leben und wurde schließlich von ihnen gefressen. Sie glaubte, die Wahl zu haben, aber wenn man die Medien erst hineingebeten hat, gehen die Gäste nicht, ehe sie selbst wollen. Wenn man von den Medien lebt, stirbt man durch sie. Entweder plötzlich oder den langsamen, qualvollen Tod, wenn keiner mehr den Sucher auf einen richten mag. Wenn man keine Geschichte mehr ist, sondern nur noch eine Erinnerung. Wenn die Leere einen trifft und das Blitzlicht erlischt. Ruhm kann eine narkotisierende und aphrodisische Wirkung haben. Ich lebte vom Narzißmus des modernen Menschen und seinem unersättlichen Hunger nach Klatsch. Ich war der Mann, der mitten auf dem Marktplatz des globalen Dorfes saß und den Klatsch über die Berühmten unters Volk brachte. Indem ich ihre Sorgen und Freuden, Untreue und Einsamkeit, wenn sie verlassen worden waren, sichtbar machte, mystifizierte und vermenschlichte ich sie gleichzeitig. Aber ich brauchte mehr, und deshalb widmete ich mich der Porträtfotografie, da ich im Abbild eines Gesichtes, wenn ich gut war und Glück hatte, die Seele des einzelnen in ihrer ganzen zerbrechlichen Nacktheit bloßlegen konnte, wenn ich ihre erwählte Rolle abschälte, ohne daß sie es merkten. Im Porträt konnten sie sich nicht vor mir verstecken. Da enthüllte ich ihr innerstes Wesen.
Danach brachte ich mit dem Bildnis der Diva einige Stunden in der Dunkelkammer zu, aber ich fand, wir hatten noch immer nicht den richtigen Ausdruck gefunden, so daß ich sie noch einmal sitzen lassen würde. In der Dunkelkammer war ich glücklich. Die Umgebung verschwand. Die Dunkelkammer war schall-und lichtdicht, so daß ich ungestört meine eigene Welt schaffen und meine Kunst im roten Licht entstehen lassen konnte, eigentlich eine Folge prosaischer chemischer Prozesse, die endlos wiederholt werden konnten, wobei sich aber durch meine präzisen Details und meine Fähigkeit, sie innerhalb des richtigen Zeitrahmens in der richtigen Reihenfolge zu verbinden, das Ergebnis von denen anderer unterschied. Ich entließ das junge Mädchen, das Maria Luisa in der Mittagspause beaufsichtigte, aß ein schnelles Sandwich und ging in die Sommerhitze des Nachmittags hinaus, zum Karatestudio der Japaner um die Ecke. Sie waren alte Freunde und meine Trainer seit zwanzig Jahren. Als sie ihr Studio eröffneten, habe ich ihnen das Werbematerial gemacht und durch die schwerfällige spanische Bürokratie geholfen. Sie hatten kein Geld, statt dessen haben sie mich mit Stunden bezahlt. Jetzt hatten sie Geld im Überfluß – wie ich auch –, aber ich fotografierte weiterhin in regelmäßigen Abständen für sie, und sie ließen mich in ihrem Studio trainieren, wenn mein Körper danach verlangte, daß ich ihm die Unruhe austrieb. Das Karatetraining hielt mich körperlich in Form. Überdies schätzte ich die Unterhaltungen mit dem alten Trainer Suzuki, der das Talent hatte, das Dasein aus der Distanz zu beobachten und ihm eine Perspektive zu geben, die über den Alltag hinausreichte. Ich konnte mit ihm beinahe so reden wie mit einem Priester, an den ich aber ohnehin nicht glauben würde.
Oscar hatte sich mit einer Leidenschaft aufs Golfspielen gestürzt, die nur Männer mittleren Alters in ein neues Laster investieren können. Er war viel zu groß, um richtig gut zu sein, aber er arbeitete daran, als gälte es Leben oder Tod. Er hat mich ein paarmal mitgeschleppt, aber es hat mir nicht viel gebracht, obwohl ich womöglich hätte besser werden können als er. Oscar hatte ja genug Geld, das er in teure Trainer investierte, und er hatte in den letzten Jahren auch eine Menge gelernt, aber ich blieb bei Karate und der Disziplin, die dem Ausübenden abverlangt wird, und der Selbstkontrolle, der mich Suzuki auf der Matte und in unseren anschließenden Gesprächen unterzog.
Die Madrider Hitze schlug mir ins Gesicht, als ich aus der Tür trat und in die Gerüche und Geräusche der Stadt gehüllt wurde: den lärmenden Gesang der Straße, den Duft frisch gekochten Tintenfischs, der von einem großen blauroten Vieh ausging, das über einem dampfenden
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