Der Augenblick der Wahrheit
die korrekte wäre?«
»Ich verteidigte mich gegen unbekannte Männer, die meine Kameras zu stehlen und damit meine Arbeit zu zerstören versuchten.«
»Was ist Ihre Arbeit?«
»Ich bin Fotograf.«
»Was haben Sie an diesem Tag in Llanca aufgenommen?«
»Ich habe nicht die Pflicht, dies oder etwas anderes auszusagen. Ich möchte gern mit einem Anwalt sprechen«, sagte ich mit wachsender Wut.
»Die Kriminalpolizei in Llanca hat Zeugen für diesen Zwischenfall«, sagte der Untersuchungsrichter. Er verzog keine Miene, und seine Augen waren so kalt wie bei toten Fischen.
»Denen möchte ich gern gegenübergestellt werden«, sagte ich.
»Sie kommen aus dem Ausland. Es braucht etwas Zeit, sie zu finden.«
»Und mein Anwalt?«
»Wenn es soweit ist.«
»Dann komme ich gerne wieder.«
Wieder guckte er mich über die Brille an.
»Mir liegt vor, daß Sie seit vielen Jahren Karatetraining machen. Man darf sagen, Ihr Körper ist eine Waffe, eine lebensgefährliche Waffe?«
Wieder konnte ich das Fragezeichen nicht hören, so daß ich stumm blieb.
»Ist es korrekt, daß Sie den schwarzen Gürtel in Karate haben?«
»Das ist korrekt.«
Er sah aus, als freute ihn das ungemein. Zumindest zog er die Lippen ein wenig auseinander, so daß ihm einen Augenblick lang die Andeutung eines Lächelns über das Gesicht huschte. Er wühlte wieder in seinen Papieren. Es kam mir so vor als falle es ihm schwer, etwas zu finden, wonach er fragen konnte. Die Sache war heikel. Es handelte sich um einen Freundschaftsdienst, auf den eine dünne Lage Firnis geschmiert werden sollte.
Aber dann ließ er die Bombe los, die mich noch nervöser machte. Er schaute über seine Brille.
»Mir liegt vor, daß Sie im Lauf der Zeit Kontakt zu Mitgliedern der Terrorgruppe ETA gehabt haben. Mehrere Kontakte?«
»In welcher Form liegt Ihnen das vor?«
»Ist das korrekt?«
»Nein«, sagte ich.
»Mir liegen vor: Abhörberichte, mit Geheimstempel. Mir liegen vor: Überwachungsberichte, mit Geheimstempel. Es hat Kontakte gegeben.«
»In welchem Jahr?«
»Das ist unwichtig …«
»Nein. Die ehemaligen Mitglieder der ETA, mit denen ich Kontakt hatte, und im übrigen nur beruflich, wurden allesamt 1977 amnestiert«, sagte ich.
Er war versiert genug, um sein Pokergesicht beizubehalten, aber ich merkte, daß er schlecht vorbereitet war. Die ganze Angelegenheit war schlecht vorbereitet. Es war eine Einschüchterungskampagne, und sie hatten nicht viel Zeit gehabt, um etwas zu finden. Sie hatten meine Akte aus ihren reichhaltigen Geheimarchiven geholt und auf die Schnelle etwas zusammengeschustert, das vielleicht ein paar Tage halten konnte. Er rettete seine Lage, indem er die Voruntersuchung abschloß: »Das muß geklärt werden. Gemäß Gesetz werden Sie zweiundsiebzig Stunden in Isolation gehalten, während die Untersuchungen weitergehen. Danach werden Sie wieder vorgeführt. Diesmal mit Ihrem Anwalt.«
Incomunicado ist das spanische Wort für ›Isolation‹. Ein im spanischen Rechtssystem häufig benutztes Wort. Dies gab der Polizei drei Tage, weiteres Material zu finden und vorzulegen, so daß die Inhaftierung aufrechterhalten werden konnte, und bis zur eigentlichen Verhandlung oder dem Fallenlassen der Anklage konnten Monate vergehen. Ich wurde langsam ernsthaft nervös. Auch im demokratischen Spanien hatten Beziehungen und clanähnliche Verbindungen in den Kreisen der Macht große Bedeutung. Diese waren bereit, alle Hilfsmittel und Schlupflöcher des Systems zu nutzen.
»Ich verlange, meine Frau und meinen Anwalt anrufen zu dürfen«, sagte ich mit steigender Hoffnungslosigkeit in der Stimme. Meine Mundhöhle war trocken und meine Handflächen feucht.
Der Untersuchungsrichter wandte sich zu der Stenographin, die aussah, als würde die ganze Sitzung sie zum Gotterbarmen langweilen. Der Richter war kein Vollidiot. Das hoffte ich wenigstens. Ich klammerte mich an die Hoffnung, er wisse, wie dünn und unhaltbar die ganze Sache war, und er würde sich selber gegen Repressalien absichern, indem er dafür sorgte, daß wenigstens die Formalitäten in Ordnung waren. Jedenfalls diktierte er: »Nehmen Sie zu Protokoll! Der Beschuldigte wird gemäß Paragraph 189, Absatz 4, Strafgesetzbuch ab sofort für zweiundsiebzig Stunden in Isolationshaft genommen. Die Kriminalpolizei unterrichtet unverzüglich die Ehefrau des Beschuldigten von seiner Inhaftierung. Der Beschuldigte muß sich zwei Stunden vor dem nächsten Termin, der auf siebzehn Uhr des dritten
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