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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Tages von jetzt an festgesetzt wird, mit seinem Anwalt treffen. Die erste Voruntersuchung ist abgeschlossen und darf in der Presse nicht wiedergegeben werden. Bis zu dem anberaumten Termin mit dem Anwalt darf der Beschuldigte keinen Besuch empfangen. Der Beschuldigte hat das Recht auf eine halbe Stunde täglicher Bewegung allein unter freiem Himmel. Dem Beschuldigten darf die Bibel oder anderer religiöser Lesestoff angeboten werden, aber er darf keinen Zugang zu Rundfunk, Fernsehen oder Presse haben. Der Beschuldigte wird der für Isolationshäftlinge normalen Verpflegung und Körperpflege unterworfen. Das Untersuchungsverhör ist damit abgeschlossen.«
     
    Er erhob sich, und ich wurde in die Zelle zurückgeführt, wo die Tür hinter mir mit einem Knall zuschlug, der nun noch unheimlicher war. Wenn sich die Herrschenden erst einmal entscheiden, sich des Systems zu bedienen, ist der Mensch nur noch ein Staubkorn. Aber wie alle Machtlosen war ich schon für wenig dankbar und ertappte mich dabei, den eiskalten Richter dafür zu preisen, daß die Polizei Amelia unterrichten würde. Sie mußte vor Sorge völlig außer sich sein, aber wenn sie erst einmal nachgedacht hatte, würde sie Oscar und Gloria anrufen.
    Der Gedanke versetzte mich in etwas bessere Laune, und nach einer halben Stunde brachte mir der fette Beamte eine Schale warme Gemüsesuppe, mit zwei Stück frischem Brot und ein Stück Huhn mit Bratkartoffeln, dazu Mineralwasser. Er sah aus, als nähme er selber eher schwere spanische Bauernkost zu sich, und zwar reichlich. Seine kleinen Augen waren fast ganz im Fett verborgen, und die gespannte, glatte Haut gab ihm den Ausdruck eines benachteiligten Kindes. Eigentlich hatte ich keinen Hunger. Ich hätte lieber ein Bad genommen, aber ich aß trotzdem. Man muß seine Kraft und seine Gesundheit bewahren, konnte ich Amelia sagen hören. Das Hühnchen hätte ich gern gegen eine Zigarette eingetauscht, aber diesmal hatten sie mir auch meine Zigaretten und das Feuerzeug samt meinen Schlüsseln und meinem Portemonnaie abgenommen. Der fette Beamte holte die grauen Plastikteller ab und brachte ein Stück Seife, eine Zahnbürste, Zahnpasta und ein kleines dünnes Handtuch, außerdem die spanische Ausgabe der Bibel. Er schmiß auch eine grobe graue Decke auf die Pritsche. Für den Isolationshäftling Lime fing offenbar die Schlafenszeit an. Ich bat ihn um Tabak, aber er antwortete nicht.
    »Gute Nacht«, sagte ich zu seinem Rücken, aber er antwortete immer noch nicht. Die Zelle war fast schalldicht. Ich konnte keine anderen Gefangenen hören. Ich konnte keinen Straßenlärm hören. Ich konnte keine klirrenden Schlüssel oder schleppenden Schritte hören. Es war bedrohlich ruhig. Ein merkwürdiges Gefühl in Madrid, das immer laut ist und nie ganz still. Das einzige Geräusch war das Pochen des Blutes in meinem Kopf und das schwache Summen eines Rohres in der Wand. Ich benutzte das stinkende Loch in der Ecke, wusch mich, putzte mir die Zähne und legte mich auf die Pritsche. Ich schlafe schlecht. Ich schlafe sehr wenig, und hier war es völlig unmöglich, Ruhe und Schlaf zu finden. Das Licht brannte, und die Stille ging mir auf die Nerven. Ich sehnte mich nach Amelia und Maria Luisa. Ich zwang mich, an die schönen Stunden mit ihnen zu denken. Ich verstand, wie Menschen mürbe und sogar wahnsinnig werden können, wenn sie von anderen isoliert werden. Im Grunde hatte ich mich ja immer als einsamer Wolf verstanden, der sich in seiner eigenen Gesellschaft gut, ja, womöglich am besten fühlte, aber jetzt tat mir schon der Magen weh vor lauter Sehnsucht nach meinen Lieben und nach anderen Menschen, und wären es bloß Fremde in einem Café. Die Leute des Ministers wußten, was sie taten. Wenn sie mich lange genug hierbehielten, wäre ich zu allem bereit. Fast. Denn inmitten der Angst und Nervosität war ich auch wütend und fühlte mich tief gekränkt an Leib und Seele. Ich lag auf dem Rücken und hielt den Zorn und die kleine Flamme der Demütigung in Gang. Ich sehnte mich nach einer Zigarette. Ich wünschte, diese rachgierige Aggressivität behalten zu können, die mich veranlassen würde, mich zu wehren. Ich wußte, das Meditieren nutzte nicht viel, also lag ich nur da, während die Zeit furchtbar stillstand und die Gedanken unstrukturiert in meinem Hirn herumpolterten, während ich jeden unregelmäßigen Herzschlag spürte und abwechselnd fror und schwitzte, obwohl die Temperatur ebenso wie die schwarze Stille inmitten des

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