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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Sie ein Telefon. Sie erhalten Zeitungen, Rundfunk, Fernseher, Essen nach Wunsch, Hofgang nach Wunsch, aber der Haftbefehl bleibt in Kraft, bis, sagen wir, kompetente Behörden einsehen, daß die Sache nach Beweislage fallengelassen werden muß.«
    Er zuckte die Schultern. Was er sagte, war: Das hier ist die Abmachung, mehr hab ich nicht in der Tüte, weiter kann ich nicht gehen. Wenn ich weiter gehen soll, muß ich erst neue Anweisungen einholen.
    »In Ordnung«, sagte ich.
    »Ist das eine Abmachung?«
    Er war überrascht, aber was sollte ich tun? Was hatte er erwartet? Daß ich brüllen und schreien würde? Auf sofortiger Freilassung bestehen würde? Ich kannte seine und meine Welt gut genug, um zu wissen, daß er zwar mit einem Vorschlag kam, das Ergebnis aber schon von vornherein feststand und die Rechnung aufgehen mußte.
    »Das ist eine Abmachung.«
    »Es ist ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen«, sagte er und reichte mir die Hand. Ich drückte sie. Er gab mir eine Telefonnummer und ließ die Zigaretten und das Feuerzeug da.
    Sie gingen, wünschten eine weiterhin gute Nacht und auf Wiedersehen am nächsten Tag, und ich rauchte noch eine, ehe ich mich wieder auf die Pritsche legte und einschlief. Ich war nicht ganz zufrieden mit mir, aber andererseits war es doch die beste Lösung. Oscar wäre ein bißchen enttäuscht wegen des Geldes, aber er würde verstehen, daß die Bilder eines geilen Bocks und einer hübschen italienischen Schauspielerin nicht die Schikanen wert waren, denen wir ausgesetzt wären, wenn wir die Bilder an die Presse schickten. Wir hatten eine Schlacht verloren. Wir hatten auch andere verloren, nur gegen Machthaber noch nicht. Andere würden wir gewinnen. Auch gegen Machthaber. So dachte ich, aber ich beschummelte mich vermutlich selbst. In Wirklichkeit verfluchte ich mich, so schnell aufgegeben zu haben, und war gleichzeitig zufrieden, weil ich meinen Entschluß auch als ersten Schritt ansah, einen Teil meines Berufes aufzugeben.
    Eigentlich hatte ich schon lange daran gedacht, jedenfalls seit Maria Luisa zu sprechen anfing. Schämte ich mich etwa doch, auf der Lauer zu liegen, um Menschen zu jagen, wenn sie am verwundbarsten waren? Hatte ich nicht überlegt, aufzuhören und mich auf meine Porträts zu konzentrieren oder vielleicht dann und wann auf eine journalistische Reportage? Damit war zwar nicht das gleiche Geld zu machen, aber brauchten wir eigentlich mehr Geld, meine kleine Familie und ich? Ich hatte einen ordentlichen Batzen Wertpapiere. Wenn ich meinen Anteil an der Firma verkaufte, brauchte ich den Rest meiner Tage kaum mehr den Finger zu rühren, wenn ich einen guten Vermögensberater fand. Sähe ich es im Grunde nicht gern, wenn meine Tochter in ein paar Jahren stolz auf mich wäre und ohne Verlegenheit von der Arbeit ihres Vaters reden könnte? Ich fühlte eine gewisse Erleichterung. Ich faßte in jener Nacht in der Zelle wohl kaum einen endgültigen Entschluß, aber ich machte einen ersten Schritt. Der Mensch ist ein Narr. Er meint, einen Entschluß fassen zu können, und dann hat das Schicksal die Karten schon anders gemischt.
    Aber ich schlief ein, was für mich immer ein kleines Wunder ist. Ich wußte, jetzt lief die Sache. Ich kannte Spanien gut genug, es war ein reiches, zivilisiertes und modernes Land, aber die Spanier schleppten noch schwer an ihren Traditionen und einer Bürokratie, die ihre Zeit brauchte, und wenn ich morgen ein Telefon bekam, konnte ich den nächsten Tag als Tag in der Freiheit betrachten.
    Das tat ich auch.
    Am nächsten Morgen kam ein neuer, jugendlich aussehender Vollzugsbeamter. Er brachte Kaffee und Milch, Brot und Butter und die Morgenzeitungen samt Radio. Und nicht zuletzt ein tragbares Telefon, das voll aufgeladen war und funktionierte, so ganz isoliert war die Zelle also doch nicht, es sei denn, sie war mit einem elektronischen Filter schallgeschützt gewesen, den sie im Lauf der Nacht entfernt hatten. Ich hatte nämlich den Eindruck, allmählich Geräusche hören zu können: ein Klopfen, ein Sausen, ein Poltern, eine Stimme. Ich schien von anderen Menschen nicht mehr ganz abgeschnitten zu sein. Oder es war ein Spezialtelefon. Jedenfalls war es nicht meins, es hatte weder ein Menü noch ein Memory, auf dem man erkennen konnte, wer angerufen hatte und über welche Telefongesellschaft man sprach. Dies hier war ein simples Gerät, mit dem man anrufen, aber dessen Nummer man nicht weitergeben konnte. Vielleicht war es in Wahrheit gar

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