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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Amelia?« sagte ich.
    »Jetzt setz dich hin, Peter!« wiederholte Oscar.
    Gloria kam auf mich zu, nahm mich an der Hand und drückte mich in ein Ledersofa, das an der Wand stand. Vor dem Schreibtisch des Untersuchungsrichters befanden sich zwei dazu passende Sessel. Es war ein sehr maskuliner, aber auch wuchtiger Raum, der Strenge und Ordnung und womöglich Gerechtigkeit ausstrahlte. Auf dem Schreibtisch lag eine durchsichtige Plastiktüte mit meinen Sachen: Portemonnaie, Schlüssel, die Leica, das Handy, Feuerzeug, Zigaretten.
    »Was ist mit Amelia und Maria Luisa?« rief ich. Ich weiß nicht, warum ich so sicher war. Ich wußte es einfach. Trotzdem traf mich der Schock mit vehementer Kraft, als Gloria still und mit erstickter Stimme die schlimmsten Worte sagte, die ich je in meinem Leben gehört hatte.
    »Amelia und Maria Luisa sind nicht mehr, Peter. Sie sind tot, Peter. Sie sind in der Nacht verbrannt. Es ist so furchtbar ungerecht und so furchtbar verkehrt und so furchtbar schrecklich.«
    Dann brach sie in Tränen aus, und obwohl ich mich übergeben mußte und ihr den ganzen Rücken besudelte, hielt sie mich weiter im Arm und drückte mich fest an sich.
     
    Die Zeit verschwand. Ich weiß nicht, wie lange ich weggetreten war, aber ich habe ein Loch in meiner Erinnerung wie das leere Nichts im Universum. Sie erzählten mir später, ich wäre nicht in Ohnmacht gefallen, sondern gewissermaßen in meine eigenen Augen verschwunden, als würde das Licht gelöscht und ich wie ein Roboter plötzlich stillstehen. Ich weiß nicht, ob es ein unangenehmes Erlebnis war, denn ich kann mich überhaupt daran nicht erinnern. Da ist bloß Finsternis und Stille. Es dauerte nur zehn Minuten. Zehn Minuten wie in einem tiefen Schlaf. Sie hatten Angst, ich würde gar nicht mehr zurückkehren, sondern unter den lebenden Toten bleiben. Sie fürchteten, ich würde mich vor ihren Augen in einen Zombie verwandeln. Vielleicht wäre mir das auch am liebsten gewesen, aber man klammert sich doch ans Leben. Ich deute die Episode, wie sie später genannt wurde, als Schutzreaktion meines Körpers. Wie ein Computer lud er herunter, als das Programm abstürzte, um die Reste zu retten und die vitalen Teile zu schützen. Ich bin ein kleines bißchen gestorben, so nenne ich das.
     
    Als ich in die unbarmherzige Wirklichkeit zurückkehrte, saß ich mit einem Glas Wasser in der Hand auf dem Sofa. Ich trank es in einem Zug aus. Es war kalt, aber mein Mund und meine Kehle blieben trocken. Sie umstanden mich wie ein Tableau aus Wachsfiguren, erstarrt in der Zeit, eingefroren im Augenblick der Ewigkeit. Gloria sah verderbt aus. Sie glich einer Frau, die mit ihrem Liebhaber beim Vorspiel ist und von ihrem Mann überrascht wird. Sie hatte ihre Jacke über ihren halbnackten Oberkörper gelegt, der nur von ihrem schwarzen Wonderbra bedeckt war. Ich roch mich und mein Erbrochenes, das wie ein unangenehmer Schatten auf dem Boden lag. Irgend jemand mußte es aufgewischt haben. Glorias Bluse lag zusammengeknüllt in einer Plastiktüte.
    Man schenkte mir neues Wasser ein, und Oscar sagte: »Alles in Ordnung?«
    »Um Himmels willen, Oscar!« sagte Gloria.
    »Nein, nichts ist in Ordnung. Aber ich möchte gern wissen, was passiert ist«, sagte ich.
    Meine Stimme war unnatürlich trocken und ruhig. Es war, als stünde ich außerhalb meines Körpers und hörte mich selber reden.
    Der Richter räusperte sich. Er thronte massig mit einem unnahbaren Gesicht hinter seinem Schreibtisch. Er hatte kleine Schweinsäuglein und erinnerte mich an einen Eber auf dem Hof meines Onkels, als ich klein war.
    »Señor Lime«, sagte er und schob ein Blatt Papier von sich weg, als wäre es unrein, als wäre es dazu benutzt worden, mein Erbrochenes aufzuwischen. Der Geruch um mich herum und in meinem Innern erinnerte mich an die Jauchegrube in meiner Kindheit. Ich spürte meinen Kopf rot und blaß und wieder rot werden, aber der Richter ließ sich nicht beeindrucken. Gloria setzte sich neben mich und nahm meine Hand, als der Richter sein Sprüchlein aufsagte: »Mein Beileid. Hier sind Ihre Entlassungspapiere. Und Ihr Eigentum. Es wird nichts mehr gegen Sie unternommen werden. Sie haben das Recht, vom spanischen Staat Entschädigung wegen unrechtmäßiger Festnahme und Inhaftierung zu fordern. Ich überlasse Ihnen mein Amtszimmer, damit Sie sich in Ruhe mit Ihren Freunden besprechen können. Noch einmal mein tiefstes Mitgefühl. Bitte unterschreiben Sie, bevor Sie gehen.«
    Er wuchtete sich

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