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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Wangen hinunterliefen. Es waren Tränen der Trauer und der Verzweiflung – vielleicht. Oder lag es nur am Rauch, der meine Tränenkanäle reizte? Im Haus liefen Feuerwehrleute umher. Alles war zusammengestürzt und troff von Wasser, überall stieg Rauch in die Höhe. Es war fast nichts wiederzuerkennen. Alles war miteinander vermischt und vermengt. Rußgeschwärzte, versengte Balken lagen wild durcheinander. Eine Badewanne war nicht mehr weiß, sondern schwarzgestreift. Die Wanne war eigentlich am schlimmsten, weil sie wiederzuerkennen war. Es war, als hätte eine Bombe die Eingeweide des Hauses in Fetzen gerissen. Ich hörte Stimmen um mich herum. Fragen und die Bitte um einen Kommentar. Ich konnte sie nicht voneinander unterscheiden.
    Aber es waren idiotische Fragen. Wie es mir gehe? Was ich empfände? Was ich tun wolle? Was ich fühlte? Wiederholt ohne Ende. Als könnten meine Gefühle mit Worten beschrieben werden. Als könnte diese abgrundtiefe Leere in meinem Innern in Sätzen festgehalten werden.
    Dann kam Felipe Pujol. Er drängelte sich zwischen zwei Fernsehkameras durch und trat mir in den Weg. Ich kannte ihn gut. Er war ein kleiner stämmiger Katalane und Kriminalreporter bei El Mundo.
    »Pedro, wie geht es dir? Warum bist du festgenommen worden?«
    Ich antwortete ihm nicht. Ich blickte über ihn hinweg in die rußige Hölle, die ein Spiegelbild der Hölle war, in der ich mich selbst befand.
    »Pedro, wir sind doch alte Freunde. Warum bist du festgenommen worden? Gib mir einen Kommentar.«
    »Verpiß dich, Felipe!« sagte Oscar hinter mir. Er war nicht so leicht durch den Pressepulk geschlüpft wie ich. Er stand hinter mir, und ich spürte eher, als daß ich es sah, daß wir von Presse, Polizei und Gaffern umringt waren, die von einem Unglück angezogen werden wie Fliegen von einem Hundehaufen an einem heißen Sommertag.
    »Schnauze, Oscar«, sagte Felipe. Er rückte mir derart auf die Pelle, daß er mir fast auf die Zehen trat, hob den Kopf und sah mir in die Augen. Ich konnte seinen Atem riechen. Zu seinem schwarzen Kaffee hatte er sich einen Brandy genehmigt.
    Er sagte: »Ich höre, du hast auf einen Minister geschissen.
    Deswegen war das. Ich höre, du hast freche Bilder. Deswegen war das. Komm schon, Pedro. Zum Teufel. Du kennst das Geschäft. Gib mir meine Geschichte. Dir kann das auch helfen.
    Stimmt es, daß du eine Fotoserie geschossen hast? El Mundo zahlt dir gern das Exklusivrecht.«
    Ich rammte ihm mein Knie in die Eier, so daß er geräuschlos vor mir zusammenklappte, mit schmerzvoll verblüfftem Gesicht.
    Es war mir völlig egal, ich drehte mich auf dem Absatz um, und mit Oscar als Wellenbrecher drängten wir uns durch die johlende Horde aus Fotografen, Reportern und Fernsehleuten.
    Einer war vom Frühstücksfernsehen. Sie sendeten wahrscheinlich live. Sie lebten von Unglücken, Klatsch, Skandalen, Kochrezepten und Verkehrsmeldungen. Oscar pflügte sich mitten hindurch, und ich folgte wie in Trance, als wäre alles ein Traum, diffus und milchweiß, der gleich vorbei wäre, so daß ich die Hand ausstrecken und sie in die von Amelia legen könnte, die sich umdrehen und ihren weichen Po gegen meinen Schoß drücken würde, und allmählich würden wir im sanften Dämmer des Schlafzimmers erwachen.
    Endlich reagierte die Polizei, schirmte uns ab und geleitete uns zum Auto, in dem Gloria hinterm Steuer saß. Oscar setzte sich mit mir in den Fond, und die Beamten bildeten eine Gasse, durch die wir auf den Platz gelangten. Es wirkte, daß sie die Hände auf ihre Knüppel legten und sie halb herauszogen, um zu zeigen, daß ihre Geduld ein Ende hatte.
     
    »Verfluchte Schakale«, sagte Oscar.
    »Wir sind selber ein Teil von ihnen, mein Lieber«, sagte Gloria tonlos.
    Die Zeit danach liegt für mich wie im Nebel. Als ob der Alptraum weiterginge. Als ob alles nicht wirklich wäre. Von der Fahrt zu meinen Lieben oder dem, was von ihnen übriggeblieben war, weiß ich nur noch einen einzigen Wortwechsel.
    »Ich will einen Drink«, sagte ich.
    »Einverstanden«, sagte Oscar.
    »Nein«, sagte Gloria.
    Dann stand ich vor zwei verhüllten Körpern in einem gefliesten sterilen Raum. Der Arzt oder Polizist zog das Laken nur ein Stückchen herunter. Ihr Haar war von einer Art Badekappe bedeckt. Es war ja kein Haar mehr übrig. Amelia konnte ich nur vage erkennen. Ihr Gesicht war geschwärzt, aber Maria Luisa war fast nicht verbrannt, so als wäre sie plötzlich durch die Zimmerdecke gefallen und von schützendem

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