Der Augenblick der Wahrheit
Gerüchte über die Bilder. Ich hab doch die Fühler ausgestreckt, verflucht noch mal.«
Seine Stimme war heiser und wütend.
»Oscar, hör auf. Peter ist doch kein Idiot«, sagte Gloria.
Die Fernsehkameras und Fotoapparate näherten sich den getönten Scheiben, als wollten sie sie liebkosen. Oder penetrieren. Die Menschen vergewaltigen, die im Auto saßen.
Ich konnte die Spiegel in den Apparaten arbeiten und die Journalisten rufen hören, wie es mir gehe, ob ich einen Kommentar hätte, sag doch was, Pedro. Es war seltsam, auf der anderen Seite in seiner Trauer zu sitzen, wo man eigentlich hätte allein und für sich sein sollen. Es war seltsam, auf der anderen Seite der Objektive zu sein. Als ich jung war und ein Teil der hungrigen Wölfe vor den Restaurants der Royais und Noblen in Kensington in London, hatte ich mich selber vorgedrängelt, um das menschliche Gesicht in seiner verwundbarsten Nacktheit zu enthüllen und auszustellen. War mein Gesicht auch so verzerrt gewesen, mein Mund so offen wie der eines Fisches, der nach Sauerstoff schnappt, hatte in meinen Augen die gleiche Mischung aus Schadenfreude und Erregtheit gelegen? Wie oft hatte ich miterlebt, wie das Opfer sein Gesicht zu verdecken suchte, obwohl es nichts zu verdecken gab? Als täte der Übergriff auf das Private weh und riefe zugleich ein Schuldgefühl hervor. Ich war zu unglücklich, um wütend zu sein. Ich war einfach zu verzweifelt über alles.
Ich sagte: »Fahr mich zur Santa Ana, Oscar.«
»Da wartet die ganze Meute, Peter«, sagte er.
»Nun mach schon, was Peter sagt«, meinte Gloria.
»In Ordnung.«
Er hupte und drängte sich durch die Horde Journalisten, die sich wie Wasser vor dem Steven eines großen Schiffes teilte.
Die eifrigsten liefen ein Stück hinter dem Auto her. Als er sich von ihnen befreit hatte, beschleunigte Oscar, bog in die Nebenstraße ein und fuhr quer über die Puerta del Sol und das kurze Stück an der Stierkampfkasse am Victoria vorbei und den halben Kilometer durch die schmalen Gassen zur Plaza Santa Ana.
Der Platz war abgesperrt. Wir wurden angehalten, aber als Oscar dem Beamten sagte, wer ich war, wurden wir durchgelassen. Er parkte das Auto auf dem Bürgersteig, und wir stiegen aus. Vier große Feuerwehrwagen hielten vor unserem Haus. Sie trugen die Aufschrift Bomberos.
Mir war es immer schwergefallen, diese spanische Vokabel mit Rettungsarbeiten zu verbinden. Das Blaulicht wirkte in dem grauweißen Morgenlicht wie das Blitzen eines Feuerwerks. Es war trübe und reichlich kühl, stellte ich fest. Die Steinplatten des Platzes trieften von Ruß und Wasser. Ich sah, daß die Feuerwehrleute ihre Schläuche noch immer auf die Nachbargebäude richteten. Und wie Schatten in der Hölle liefen einige in der Etage herum, die noch vor ein paar Stunden mein Zuhause gewesen war. Ich bin bei Bränden dabeigewesen. Da hatte ich wie ein kühler Beobachter nur über Licht, Blende, Entfernung, Winkel, Totale, Nahaufnahme und die Geschichte nachgedacht. Als Profi kann man mit Katastrophen nur leben, wenn man Abstand hält.
Sie waren mit dem Nachlöschen beschäftigt. Die Luft war dick von Ruß und Rauch und einem unbestimmbaren Todesgestank.
Man hörte ein Rattern und Zischen, knatternde Radios und einen murmelnden Stimmenchor, der sich an einem Unglücksort immer einfindet, wenn die Menschen zuerst stumm sind und dann fast heiter bei dem Gedanken, daß sie selber verschont wurden, während andere ihr Leben verloren. Diesmal ist der Kelch an mir vorübergegangen, denken sie, aber es hätte mich selbst treffen können. Eine Katastrophe erinnert den Menschen immer daran, daß seine Zeit auf der Erde nur geborgt ist und der Tod uns alle erwartet.
Ich ging auf das Haus zu. Die Presse bemerkte mich. Obwohl ich meine Bilder nicht signierte, kannte ich doch die meisten aus dem Madrider Presseklub. Ich ging ihnen entgegen, und sie rannten gleichzeitig auf mich zu. Sie drängelten und schubsten, jeder wollte der erste sein. Das wichtigste Gebot: Du mußt erster sein und darfst dich nicht überholen lassen. Sie bremsten ab. Die Kameralinsen zeigten auf mich wie geladene Bazookas, aber ich ging weiter geradeaus, und einen Augenblick lang schienen sie Mitleid mit mir zu haben, und ich schlüpfte zwischen ihnen durch und erreichte eine Absperrung, von wo ich in die Trümmer sehen konnte.
Gestank und Hitze schlugen mir entgegen, mein Gesicht glühte, und ich wußte, daß die Fotografen ihre Bilder bekamen, als mir Tränen die
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