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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Die Frage war unsinnig. Jung zu sein heißt, frei von Verantwortung und ohne Angst vor dem Tod zu sein. Wir waren glücklicher, weil wir noch nichts zu verlieren hatten. Erst als wir den Schmerz durch Verlust kennenlernten, entdeckten wir, daß wir nicht unsterblich waren. Als uns aufging, daß wir eines Tages sterben würden, verloren wir die Unschuld, und das Leben wurde nie mehr dasselbe wie zuvor.
    Sie fanden die Idee schlecht, ins Baskenland zu fahren. Sie fanden die Idee schlecht, daß ich Privatdetektiv spielen wollte.
    »Das will ich eigentlich gar nicht«, sagte ich. »Ich muß hier einfach mal weg. Ich rede ein bißchen mit Tómas und den anderen von damals und ziehe eine Weile in unser Haus. So hab ich das Gefühl, was zu tun zu haben.«
    Amelias und mein Sommerhaus vor San Sebastian hatte ich seit dem Ereignis noch nicht besucht. Der Bauer vom Nachbarhof paßte darauf auf. Ich hatte immer noch Angst, es wiederzusehen. In der Wohnung hatte das Feuer sämtliche Erinnerungen an meine Familie beseitigt, aber in unserem Haus wäre noch alles da – Kleider, Fotos, Spielzeug, Bücher, ein Aufsatzheft, Düfte – lauter Erinnerungen.
    »Ich hab was Besseres für dich«, sagte Oscar. »Ich habe einen Tip gekriegt, daß Charles ein Tête-à-tête-Wochenende mit dieser Parker, diesem Pferdekopf, vorhat – und zwar mit den Kindern. Stell dir das mal vor. Die armen Kinder mit der bösen Fee und dem kühlen Prinzen. Da könntest du ein Foto schießen, Peter, das ginge um die Welt. Es erfordert gute Vorbereitung, nahe ranzukommen, aber das kannst du ja. Deine Gedanken wären abgelenkt. Du würdest mit deinem Leben weiterkommen.
    Du würdest …«
    Er hielt inne. Das war nicht seine Art. Vielleicht sah er an meiner Miene, daß er dabei war, ein Thema anzuschneiden, von dem er sich lieber fernhalten sollte. Ich antwortete ihm nicht.
    Gloria sandte ihm einen ihrer Blicke und lächelte mich zuckersüß an.
    »Vielleicht ist das eine gute Idee, Peter«, sagte sie. »Aber du fliegst, nicht?«
    In zweideutigen Aussagen war sie immer Meisterin gewesen.
    Was war eine gute Idee? Oscars oder meine? Ich zog es vor, daß sie meine gut fand.
    »Nein. Ich nehme das Motorrad«, sagte ich.
    »Ich hasse dieses gefährliche Ding. Und du trägst nicht mal einen Helm.«
    »Du bist zu alt, um Easy Rider zu spielen«, sagte Oscar.
    »Meine Uhr schmeiß ich nicht weg. Aber ansonsten ist es gar nicht so weit davon entfernt. Ich besitze nichts mehr. Ich bin eigentlich wieder da angelangt, wo wir in unserer Jugend waren.
    Kein materieller Besitz. Ein Rucksack mit Klamotten, eine Kamera. Ein Haufen Erinnerungen.«
     
    Oscar lachte.
    »Alter Idiot«, sagte er. »Da gibt’s nur einen kleinen Unterschied. Du hast drei, vier verschiedene Kreditkarten und ziemlich viel Knete auf der Bank und Anteile an einem außerordentlich profitablen Unternehmen, das dir und deinen beiden guten alten Freunden gehört. Wenn schon, dann bist du ein alter Luxushippie. Das ist nicht so ganz dasselbe wie damals, als wir uns mit einem lächerlichen Duro in der Tasche kennengelernt haben. Als wir nicht wußten, wo die nächste Mahlzeit herkommen sollte, und als uns alle den Buckel runterrutschen konnten.«
    Das war der Oscar von früher. Ich konnte nicht anders, ich mußte lachen. Gloria schien einen Augenblick lang der Meinung zu sein, er habe übertrieben, aber er hatte es auf seine entwaffnend charmante Art gesagt, daß man einfach über sich selber und über ihn und miteinander lachen mußte. Sein breites Gesicht und die Stirn hatten Falten bekommen, aber es war leicht, den großen Jungen in dem Gesicht des erwachsenen Mannes zu erkennen. Das war schon immer eine seiner großen Stärken gewesen. Die Fähigkeit, eine Situation mit ein paar Worten zu retten, in denen die Botschaft durch Tonfall, Körpersprache und ein breites Lächeln ins Ungesagte transportiert wurde. Unter die Worte. Wie der Eisberg in Hemingways Prosa.
    »Okay, okay«, sagte ich. »Ich muß einfach weg.«
    »Und Don Alfonzo?« fragte Gloria.
    »Wir helfen uns gegenseitig.«
    »Ihr solltet lieber die Regierung machen lassen. Sie durchkämmen die Stadt. Sie lassen nicht locker. Der Staat findet sich mit dem Terrorismus nicht ab«, sagte Gloria.
    Sie hatte ein glattes Gesicht mit einigen kleidsamen Falten um die Augen. Sie war eine große Frau und arbeitete hart daran, ihre voluminöse Figur unter Kontrolle zu halten. Im Fitneßcenter wie bei den fähigsten Schönheitschirurgen. Noch waren keine

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