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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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großen Eingriffe nötig gewesen, nur kleine präzise im Gesicht und an der Brust, die den ungerechten Altersprozeß aufhalten sollten.
    Sowohl die Frühnachrichten in Funk und Fernsehen als auch die Tageszeitungen verbreiteten die Version eines ETA-Attentats. Daß die verbrecherischen Basken wieder einmal zugeschlagen hätten. In der Presse konnte man ja täglich von einem Attentat auf irgendeinen bürgerlichen Politiker lesen, aber das hier übertraf alles. Es war das Schlimmste seit langem. Die Madrider stöhnten verärgert. Nun sollten sie nicht nur unter der Hitze leiden, sondern auch wieder unter Polizeisperren, Kontrollen, Durchsuchungen und Bombenhunden. Aber ich kannte sie gut genug, um zu wissen, daß die Geschichte in ein paar Tagen vergessen sein würde. Heute morgen hatte ich bereits mehrere Journalisten am Apparat gehabt. Ich war lieber der Jäger als der Gejagte. Wochenmagazine und Talkshows riefen täglich bei meiner Sekretärin an, die sie mit stoischer Ruhe abwimmelte. Jetzt wollten sie mich in obskuren Sendungen über Trauerarbeit interviewen. Haben Fotografen eine moralische Verantwortung? Ist Gott ein Teil Ihres Alltags?
    Wollen Sie die Todesstrafe für Terroristen? Welches Buch ist das beste des Jahres? Meine Meinung war interessant, weil ich interessant war. Ich hatte gelitten. Ich war eine Medienfigur.
    Ich lehnte alle Einladungen ab.
    »Es gibt keinen Bekennerbrief. Das ist ungewöhnlich«, sagte ich.
    »Nicht, wenn sie einen schrecklichen Irrtum begangen haben.«
    »Ich rede ein bißchen mit Tómas. Und ein paar anderen Freunden. Ihr kennt sie doch! Wahrscheinlich endet das Ganze damit, daß wir über die alten Tage quatschen«, sagte ich.
    »Dann nimm wenigstens das hier mit. Du mußt wieder in der modernen Welt leben«, sagte Oscar. Er reichte mir mein Handy und das Ladegerät. Seit die Polizei es beschlagnahmt hatte, hatte ich es nicht mehr angerührt. Offenbar hatte Oscar es mit ins Büro genommen. Ich nahm es zögernd.
    »Wir möchten gern, daß du erreichbar bist«, sagte Gloria.
    »Wir mögen dich, Peter.«
    Jetzt wurden sie wieder sentimental. Ich tippte meine PIN ein.
    Natürlich war der Anrufbeantworter voller Nachrichten. Ich setzte mich hin und hörte sie durch. Einige kamen von Informanten, andere von Geschäftsleuten und entfernten Freunden, die kondolierten, und eine war von Clara Hoffmann.
    Ihre kultivierte, wohlmodulierte Stimme in dem ungewohnten Dänisch war klar verständlich. Das schwache Geräusch im Hintergrund konnte von der Plaza Santa Ana stammen, falls sie vom Balkon im Hotel Victoria telefoniert hatte, und ich versuchte, sie vor mir zu sehen, wie wir an jenem Tag in der Cerveceria Alemana miteinander gesprochen hatten.
    Sie sagte: »Peter Lime, die Nachricht von der Tragödie tut mir unsagbar leid. Ich fühle mit Ihnen und sage Ihnen mein herzlichstes Beileid, obwohl – was bedeuten Worte in einer solchen Stunde? Ich fliege heute nach Dänemark zurück. Ich werde Sie nicht mit meiner Nachfrage quälen, muß aber doch sagen, daß wir weiterhin interessiert sind, mehr von der Frau und dem Mann auf dem Bild zu erfahren. Wenn Sie irgend können – wenn die Zeit für Sie reif ist, selbstverständlich –, wenn Sie mich also kontakten wollen, rufen Sie mich bitte in Kopenhagen an. Sonst komme ich sicher wieder nach Madrid.
    Und noch einmal: Es tut mir leid. Mehr, als Worte sagen können.«
    Sie hatte zwei Telefonnummern angegeben, und aus alter Gewohnheit wedelte ich mit der Hand in der Luft herum, um einen Stift zu bekommen, und schrieb sie auf einen Zettel, den ich in die Tasche stopfte, ehe ich auch ihre Nachricht löschte.
     
    »Was war denn das?« fragte Gloria. Ich muß einen abwesenden Blick gehabt haben.
    »Eine Sache, die ich vergessen hatte. Eine Frau vom Polizeilichen Nachrichtendienst – dem dänischen –, die kurz vor
    … ja, kurz vor, ihr wißt schon, mit mir in Verbindung trat.
    Wegen eines Fotos aus der Vergangenheit.«
    »Ach, das«, sagte Oscar.
    »Wovon redet ihr?« sagte Gloria.
    »Nichts. Ist auch egal«, sagte ich.
    »Das ist ja wohl auch weg wie die andern«, sagte Oscar.
    »Es wird wohl im Koffer liegen«, sagte ich.
    Sie schauten mich an.
    »Was für ein Koffer?« fragte Gloria.
    »Nichts«, sagte ich. »Vergiß es.«
    Gloria wurde geschäftsmäßig und nahm ihre Anwaltsstimme an, diesen feingeschliffenen, spitzen Tonfall, der bei ihren männlichen Widersachern vor Gericht Durchfall verursachte.
    »Hast du Negative oder Bilder, die nicht

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