Der Augenblick des Magiers
weise sei und sehr gelehrt, alt und mächtig. Doch bisher hat mir noch niemand berichtet, daß er auch tapfer, mutig und kühn sei.«
»Na ja«, schränkte Oplode ein, »ich gebe zu, daß manches davon nur Gerüchte sein mögen. Aber daß er fähig ist, ist erwiesen. Du weißt doch, daß er weitgehend verantwortlich für die Niederlage der Gepanzerten in der Schlacht ums Jo-Troom- Tor* war.«
»Von dieser Schlacht habe ich viele Versionen zu hören bekommen, Meister. Manche von ihnen waren weitaus weniger schmeichelhaft für Clodsahamp vom Baum als andere. Es heißt zwar, daß er im kritischen Augenblick dort war, ja, aber inwieweit er dabei beteiligt war, hängt ganz von dem Geschichtenerzähler ab, dem man gerade zuhört.«
»Dennoch ist er der einzige, der mächtig genug ist, um uns helfen zu können. Wir müssen ihn um Hilfe bitten. Er kann es uns nicht abschlagen.«
»Wie willst du ihn denn benachrichtigen, Meister?« Flute warf einen traurigen Blick auf das Mahl, das gerade im Begriff war, zu verkochen. »Soll ich das Pentagramm für einen Reisezauber vorbereiten?«
»Nein.« Oplode erhob sich vom Tisch. »Dieser Markus ist möglicherweise mächtig genug, ihn aufzuspüren. Und es gibt auch keine Garantie dafür, daß er wirklich funktioniert, wenn man bedenkt, welch gewaltige Entfernung der Zauber zurücklegen müßte. Clodsahamps Heim ist sehr weit von Quasequa entfernt - und ich werde langsam alt. Es ist schon lange her, seit ich einen derart weitreichenden Reisezauber versucht habe.«
Flute war zwar von diesem Eingeständnis der Schwäche schockiert, gab sich jedoch Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. Die Niederlage bei dem heutigen Wettstreit hatte seinen Meister offensichtlich nicht nur seiner Stellung beraubt, sondern auch seine Zuversicht geschwächt.
Aber vielleicht war Oplode der Schlaue auch nur so vorsichtig, wie es tatsächlich geboten war. Flute zog es vor, von dieser Vermutung auszugehen.
»Wir brauchen einen Boten«, murmelte der Hexer. »Einen zuverlässigen Boten. Einen Boten, der es gewöhnt ist, weit und schnell zu reisen, und der sich nicht fürchtet, das ihm vertraute Land zu verlassen, welches den See der Tränenreichen Perlen umgibt.« Er überlegte noch einen weiteren Augenblick, bevor er zu nicken begann und zu seinem Lehrling emporblickte.
»Auf der Insel Kunatweh, der äußersten der vier hohen Inseln, die den östlichen Teil der Stadt ausmachen, dort, wo sich die Flieger zusammenfinden, lebt ein Rabe namens Pandro. Bring ihn zu mir. Und sorge dafür, daß euch niemand dabei beobachtet. Ich werde ihm erklären, was er tun soll. Obwohl ich früher noch nie Grund hatte, seinesgleichen zu bemühen, steht er doch im Ruf, tapfer und vertrauenswürdig zu sein. Ich muß dich nochmals ermahnen, beim Gehen und Kommen größte Vorsicht walten zu lassen. Es heißt, daß dieser Markus bereits jetzt Spione in der Stadt ausschwärmen läßt, die nur ihm allein Meldung machen.
Obwohl er mich heute besiegt hat, scheint er mir doch kein Narr zu sein. Ich bin sicher, daß er in mir immer noch seinen gefährlichsten Rivalen sieht. Darin hat er auch recht«, brummte Oplode grimmig. »Ich spüre und sehe, was er für ein Individuum ist, so daß ich unbeirrt dagegen bin, daß er in der Stadt, die ich so sehr liebe, eine Machtstellung innehält. Ich glaube, daß er weiß, wie ich zu ihm stehe, aber er wird so oder so kein Risiko eingehen und nichts dem Zufall überlassen wollen. Also wird er uns hier beobachten lassen. Wenigstens kannst du ungesehen hinausschlüpfen, denn ich glaube nicht, daß irgend jemand von meinem Privateingang weiß.«
»Wann soll ich gehen, Meister?«
»Sofort.« Da zögerte der Hexer. »Hast du schon gegessen?«
»Das spielt keine Rolle, Meister. Ich kann irgendwann später etwas zu mir nehmen.«
»Nein«, widersprach Oplode ihm entschieden. »Du wirst vielleicht noch deine ganze Kraft benötigen. Zuerst werden wir essen.«
Das taten sie auch, und das Mahl verging in nachdenklichem Schweigen. Dann hüllte sich Flute sorgfältig in seinen wasserdichten Mantel und schritt zu der Gewölbenische an der gegenüberliegenden Seite des Raums. Der Gewölbebogen sah wie eine umgedrehte Glocke aus eng vermörtelten Fliesen aus. Ein von Oplode verhängter Druckzauber hielt das Wasser des Sees ab.
Flute stieg die Steinstufen hinauf, bis er auf das schwarze Wasser hinausblicken konnte, das gegen die Mauer der Glocke züngelte. Er bauschte seine Kiemen mit den Händen auf und
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