Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
wird durch Flohbisse übertragen, wobei Nagetiere aller Art, eben auch Ratten, als Wirt dienen. Die Krankheitszeichen, die auch immer geschildert wurden, ähneln anfangs einer Grippe mit Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, auch Fieber. Charakteristisch sind dann die ›Pestbeulen‹ – Lymphdrüsenschwellungen, die vor allem in der Achselhöhle und den Leistenbeugen auftreten, aber auch am Knie – wie beim Hl. Rochus –, am Ellenbogen und Hals. Wer Glück hatte, überlebte. Meistens jedoch überschwemmen die Erreger den Organismus. Äußere Zeichen dieser bakteriellen ›Blutvergiftung‹ oder Pestsepsis sind die schwarzen Hautflecken, die durch Einblutungen ins Unterhautgewebe entstehen, daher die spätere Bezeichnung ›Schwarze Pest‹, ›Schwarzer Tod‹. Zu einer Epidemie wird die Pest, wenn die Krankheit einen anderen Verlauf nimmt und speziell die Lunge befällt, was blutig-schleimigen Auswurf zur Folge hat. Dieser Auswurf ist hochgradig infektiös, also, diese Ansteckungskette läuft nicht mehr über den infizierten Floh, sondern direkt von Mensch zu Mensch. Die Kranken sterben innerhalb von drei bis vier Tagen. Daß sich das, wie die Historiographen beschreiben, auf die Bestattungsriten niederschlug, ist leicht zu verstehen. Auf die Begräbnisse von Massen war man logistisch nicht eingestellt – es ist noch die Zeit der Kirchhöfe. Leichen galten ohnehin als giftig, um so mehr fürchtete man sich vor den Leichen der an der Pest Gestorbenen. Sie wurden irgendwo draußen vor der Stadt verscharrt oder in größeren Mengen verbrannt. Beim Verbrennen hat man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Eine der Abwehrmaßnahmen waren ja die Schutzfeuer rund um die Städte, und mit dem Verbrennen der Leichen hatte man, wenn man so will, gleichzeitig den entsprechenden Schutzbrand und den gewünschten Rauch.
Das sind einige der vorhin erwähnten Bausteine, mit denen Seuchengeschichte geschrieben wurde. Auf die anderen werde ich dann im Folgenden eingehen, vorher möchte ich aber noch was zur Organisation insgesamt sagen. Die italienischen Städte sind verwaltungstechnisch mit der Pest besser fertig geworden; sie waren ja bestens organisiert, waren nah an Rom; es gab ein Netz von kleinen Bistümern, da war immer ein Bischof da und in zwanzig Kilometern Entfernung der nächste. Die Ordnung wurde nach Kräften aufrechterhalten. Natürlich haben die reichen Familien sofort die Stadt verlassen und sich auf ihre Landgüter zurückgezogen – wie es Boccaccio in seinem ›Decamerone‹ beschreibt –, aber eine solche Struktur gab es bei uns nicht. Für den nordalpinen Raum, der ja noch sehr unorganisiert war, war es ein Desaster. Die Bevölkerungsstruktur war grundsätzlich ländlich, und Städte von nennenswerter Größe gab es im deutschen Reich kaum. Und das mußte nun alles organisiert werden, im Hinblick auf Verwaltungsvorschriften, Quarantänemaßnahmen oder auch der Reisepaß – er soll auch eine Erfindung des Pestzeitalters sein. Die Verantwortlichen im Rathaus mußten alles in den Griff bekommen: sauberes Trinkwasser, Pflege der Kranken, Beseitigung der Leichen, Seelenmessen, Verhinderung von Plünderungen, Regelung der Versorgung natürlich, Bezahlung der Dienstleistungen. Und sie mußten sehen, daß der Arzt und der Pfarrer dablieben. Das sind so die Maßnahmen und Verhaltensweisen, die sich als Konsequenz entwickelt haben. Es heißt, daß nichts die verwaltungstechnische Infrastruktur so vorangebracht hat wie die Pest. Das war die schärfste Zäsur, man kann sagen, das Ende des Mittelalters, sie hat Institutionen hervorgebracht und Institutionen in Frage gestellt. Die Institution der Kirche vor allem, und das hatte frömmigkeitsgeschichtlich enorme Konsequenzen. Wenn die Gnadenmittel der Kirche versagen, wenn die Geistlichen abhauen – beides ist schlecht –, dann führt das einerseits zu einer ›Verwilderung‹ von Frömmigkeitsbewegungen, wie den ›Geißler-Zügen‹ z. B., vor allem aber zu einer Privatisierung. Was die Kirche ja gar nicht wollte. Man ist jetzt selber dafür verantwortlich, an sein Seelenheil zu kommen. So eine frömmigkeitsgeschichtliche Konsequenz ist auch der Rosenkranz, seine Multiplikation von Gebeten. Das war eigentlich nicht im Sinne der Kirche, denn das hat Beschwörungszüge, magische Züge. Auch das Aufblühen des Amulettwesens gehört dazu. Und die Dramatisierung von Heiligenlegenden im 15. Jahrhundert, besonders des heiligen Sebastian. Eben war er noch
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