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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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Stadtparlament Frkf. O. u. Gründung von Belladonna e. V. Der Verein gründete 1990 ein Frauenhaus. Aus diesen Gründungen entwickelte sich die Arbeit der heutigen Fachberatungsstelle »Bella Donna«; die Arbeitsschwerpunkte sind: Hilfe f. Zwangsprostituierte, Opferschutz, Streetwork-Arbeit mit Prostituierten, langfristige Zeugenbegleitung, Akquisition v. finanziellen Mitteln. Frau Ludwig ist Verfasserin zahlreicher Texte z. Thema Sexarbeit, Zwangsprostitution, Migration, Opferschutz und -hilfe. Sie ist u. a. Mitglied i. »Europäischen Forum f. angewandte Kriminalpolitik« und arbeitet zusammen mit diversen Frauen in Selbsthilfe- und Hurenprojekten i. In- und Ausland (Schwerpunkt Polen, Ukraine, Weißrußland). Uta Ludwig wurde 1954 als Tochter eines Chemie-Dipl.-Ingenieurs und einer Dipl.-Pädagogin geboren, sie ist geschieden u. hat eine Tochter.
    Die »Ware Frau« ist ein Marktsegment, der Frauenhandel zum Prostitutionszweck wird international organisiert. Er wuchs seit dem Ende der Sowjetunion 1991 zum gewinnträchtigsten kriminellen Geschäftszweig der globalisierten Welt. Die Profite überflügeln inzwischen die des illegalen Waffen- und Drogenhandels. Frauenkörper werden unter dem geschäftstüchtigen Zugriff krimineller Profis und Laien zur Ressource. Ihre Plünderung entspricht der Nachfrage, sie unterliegt keinen Börsenschwankungen und geschieht vor aller Augen. Mitteleuropäische Käufer sexueller Dienstleistungen erwarten ganz selbstverständlich eine ethnisch breite Palette junger Frauen. Und dieses Selbstverständnis teilt der kleine Arbeiter und Angestellte, der sich auf dem polnischen Straßenstrich zum Schnäppchenpreis bedienen läßt, mit dem leicht perversen Fernsehmoderator, der mehr kauft, oder auch mit dem ehemaligen VW-Manager und »Sozialreformer« Hartz, dem die Ware nicht teuer genug sein kann.
    Unter »normalen« Bedingungen kaufen in Deutschland schätzungsweise täglich 1,2 Millionen Männer bei 400000 Prostituierten Sex. Die Lebensbedingungen der Frauen bleiben ihre Privatsache.
    Das Hilfsprojekt »Bella Donna« residiert in Frankfurt/Oder in einem dreistöckigen Steinhaus. Im parkartigen Gelände des 1891 gegründeten Lutherstifts ist es ruhig geworden. Heute arbeiten nur noch die Geriatrie, ein Diakonissen-Mutterhaus, ein Altenwohn- und ein Pflegeheim. Frau Ludwig empfängt uns herzlich und bittet uns in den Konferenzraum. An der Wand hängt eine große Karte der ehemaligen Sowjetunion mit kyrillischer Beschriftung. Solch eine Karte sahen wir zuletzt 1994 in einer eben verlassenen russischen Kaserne. Damals waren wir bestürzt, Europa aus einer so vollkommen ungewohnten Perspektive, ganz klein am linken Rand, zu sehen.
    Frau Ludwig bewahrt ihre Zigaretten in einer alten graublauen Blechschachtel mit der Aufschrift »Flagship« auf. Sie nimmt eine heraus, zündet sie an, und mit dem Ausblasen des Rauches beginnt sie zu erzählen:
    »Ich habe diesen Verein gegründet. Zwischen ’89 und ’90 damals – nee, ich fang andersrum an, das hat sich ja eins nach dem anderen entwickelt. Genau zur Wende haben ich einen Künstlerverein gegründet; wir wollten an diesem neuen Gestaltungsprozeß ja aktiv mitarbeiten, da eindringen in das Neue. Meine Freunde waren alle beim Forum damals; es gab da erste Demonstrationen, und bei einer Kundgebung wollte ich einfach nur ein Liebesgedicht vorlesen, aber ich wurde daran gehindert. Stattdessen haben lauter Männer geredet, und ich hörte immer nur: Wir müssen, wir müssen! Ich wollte nicht schon wieder gesagt kriegen, was ich muß! Da habe ich einen unabhängigen Frauenverband gegründet. Ich war dann hier auch mit am Bezirks-›Runden Tisch‹. Weil sich aber im Frauenverband immer mehr Frauen organisierten und dann outeten als ›informelle Mitarbeiter‹ der Stasi, gab’s Probleme. Ich sagte, nein, mit solchen Leuten will ich auch nicht arbeiten. Wer direkt bei der Staatssicherheit gearbeitet hat, o. k., der hat seinen Arbeitsvertrag unterschrieben, das lag offen. Aber informelle Mitarbeiter, die sich nebenbei ein Zubrot oder sonstige Vorteile verdienten und heimlich ihre engsten Freunde bespitzelten, die lehne ich ab. Ich war da ein Hardliner; ich war genug observiert worden, auch von ›Freunden‹, habe ein paar Hausdurchsuchungen hinter mir, ich wollte diese Leute nicht. Da haben wir paar, die dagegen waren, uns hingesetzt und gesagt: Was machen wir nun? Der unabhängige Frauenverband ist sozusagen unterwandert, das Forum ist

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