Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
frauenunfreundlich, das haben die Männer an sich gerissen, da lassen wir uns nicht als Alibi benutzen. Also gründeten wir einen neuen Verein, der hieß erst ›Brücke‹, dann haben wir ihn aber umbenannt in ›Belladonna‹. Belladonna e.V, zusammengeschrieben, das ist heute der Träger, und ›Bella Donna‹, getrennt geschrieben, ist die Fachberatungsstelle. Der Name Belladonna war von mir, ich bin drauf gestoßen, daß das ein sehr interessantes Gift mit vielen Eigenschaften ist; die weisen Frauen haben es benutzt für die ersten schmerzlosen Geburten usw.
Ich saß ja dann auch im Stadtparlament für die SPD und habe dann so richtig mitgekriegt, wie das läuft, mit Fraktionszwängen und allem. Ich hab den Sozial- und Gleichstellungsausschuß geleitet, und 1999 hat unser Verein Belladonna dann ein Frauenhaus gegründet. Zu DDR-Zeiten gab’s das ja nicht, obwohl es viel häusliche Gewalt gab, das weiß nur keiner mehr. Ich habe mir dann vom ersten autonomen Frauenhaus in West-Berlin das Konzept besorgt. Und dann habe ich mich ganz darauf konzentriert. Die Stadtverwaltung hat mich zwei Jahre in ABM angestellt, mein Arbeitsauftrag: Errichten eines Frauenhauses und Frauenzentrums, und für Letzteres haben wir sogar eine kleine, feine feministische Bibliothek mit reingekriegt, im Endeffekt. Wir hatten ja so viel nachzuholen. Es war eine gute, aktive Zeit, vier Jahre lang.« Eine drahtige dunkelhaarige Frau kommt freundlich grüßend herein. »Das ist Sylvia, eine ganz langjährige Mitarbeiterin«, sagt Frau Ludwig. In freundschaftlichem Tonfall werden ein paar Fragen geklärt. Dann können wir fortfahren. »Ich habe mir damals gesagt, ich will einfach gute, aktive Frauen als Mitarbeiterinnen haben, die Ausbildung ist nicht die Voraussetzung, die können wir später nachholen. Ich hab’ viele ausgebildete Pädagogen und Psychologen gesehen, die menschlich gar nichts konnten. Mir war einfach ein guter Mitarbeiterstab das Wichtigste. Die sind von überall her gekommen, auch aus dem Kuhstall. Die Mitarbeiterin von eben, Sylvia, die hat früher Kühe gemolken in der LPG und wurde eine der Besten hier. Wir haben uns vom Europäischen Sozialfonds Fördermittel besorgt für Aus- und Weiterbildung und zusammen mit erfahrenen Frauen so eine Ausbildung zusammengeschustert, dreijährig, und die war so hieb- und stichfest, die Mitarbeiterinnen waren so fit und kompetent, daß das Land Brandenburg nach gründlicher Prüfung sich gewundert hat und sagte, das finden wir sehr gut und werden diese Ausbildung im Land Brandenburg anerkennen, das hieß ›sozialpädagogische Mitarbeiter für den Frauenbereich‹. Wir waren Pilotmodellprojekt.
1993 haben wir dann die zwei ersten Prostituierten aufgenommen, sie waren sechzehn und auf der Flucht. Es war Freitagabend, und weil sie minderjährig waren, hätten wir sie gar nicht aufnehmen dürfen. Beide waren verletzt. Es gab Ärger, wir hatten keine Erfahrungen und ein Riesenproblem, wir waren davon einfach überfordert. Ich hab’ dann angefangen, mich auch politisch mit diesen Fragen zu beschäftigen. Und inhaltlich, mit Prostitution, Pornographie, SM, Hardcore- und harter Pornographie. Ich hatte ja keine Ahnung, hatte noch nie eine Prostituierte in den alten Bundesländern gesehen – in der DDR gab’s das nicht bzw. nur in einer bestimmten Form, z. B. zu Messezeiten. Ich war befreundet mit einer Frau, die hat sich da als Informationsdame ihr Westgeld verdient, in den 70er und 80er Jahren. Sie hat versucht, mir die Vorteile zu erklären, aber das war nicht in meinem Denkvermögen. Und als ich dann das ganze pornographische Material gesichtet hatte, immer erst ein kleines Stück, also, ich fand das abstoßend, degradierend, für mich hat das nichts mit Sexualität zu tun, mit Nähe, Intimität. Aber ich wollte mich mit der Materie mal bekannt machen, denn es war inzwischen die Elfriede Steffan vom Sozialpädagogischen Dienst in Berlin bei uns gewesen zu einem Besuch, die sagte, sie brauchen Streetworker zur Aidsprävention im grenzüberschreitenden Raum, nach Polen zu, wir seien ihr als Projekt aufgefallen – wir waren bei Aids-Konferenzen auch in Berlin –, und nach einer Viertelstunde waren wir uns einig, wir machen das. Ich dachte, o. k; das Frauenhaus läuft, das Frauenzentrum läuft; wir hatten ein wunderbares Haus in der Bergstraße 155, Eckhaus, drei Etagen Frauenzentrum, zwei Etagen Frauenhaus, es gab eine akute Etage, Bibliothek und Café, ein Lesben- und Schwulentreff
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