Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
runterzukriegen. Das sind exakt die Endlagermaße. Die Herren haben ein bißchen rumgeredet, ob man das wohl durchsetzen kann usw. Gebohrt wurden dann, glaube ich, 7,80 Meter! Das zeigt uns, daß die es ernst meinen mit ihren Absichten und vollkommen sicher sind, daß die Standortfrage entschieden ist.
Ich war da ja jetzt mit unten im Gorlebener Salzstock, im Zusammenhang mit dieser HA-Schult-Aktion, die sozusagen eine ernsthafte Aktions-Kunstsache war zu diesem Problem, und da konnte man sich das unten angucken, mit Führungen. Und das war schon gigantisch, was da gebaut wurde – unterirdisch und oberirdisch. Also, das ist kein Erkundungsbergwerk, das Ding ist fertig! Das ist eine komplette unterirdische und oberirdische Anlag fürs Endlager. Es sind ja schon, ich glaube, 1,3 Milliarden Euro in die ganze Anlag reingeflossen, spätestens bis 2030 muß ein Endlager her für hochradioaktive Abfälle. Da lassen sich alle erst mal Zeit. Und irgendwann, so hofft man anscheinend, wird der Widerstand ermüden, wird man vergessen haben, daß es bereits einen toten Arbeiter gab, beim Abteufen des Schachtes. Beton haben sie reingekippt, weil ihnen das zusammenzubrechen drohte, und gegen den Grundwassereintritt muß die Außenhülle tiefgefroren werden, mit Riesenaggregaten, mit einer Leistung von 50000 Kühlschränken, mit Strom aus der Steckdose. Zahlreiche Gutachten seit 1977 haben eindeutig nachgewiesen, daß der Salzstock vollkommen ungeeignet ist, weil er nicht mal das Mindestkriterium ›Geschlossenes, durchgehendes Deckgebirge, aufweist‹ das zur Abschirmung notwendig ist. Verlangt wird ja Abschirmung von der Biosphäre für, ich glaube, eine Million Jahre. Na! Sie waren ja nicht mal fähig, den Fußboden in der Zwischenlagerhalle richtig zu berechnen. Da sind die mit dem Castor drübergefahren und krkrkrkr … ging’s, und sie mußten die ganze Halle neu betonieren. Oder sie hatten eine zu kleine Schiebetür eingebaut und kriegten ihren ersten Castor gar nicht rein usw. Und da wollen sie über unvorstellbare Zeiträume verbindliche Zusagen machen?!
Zehn bzw. elf Jahre konnten wir die Nutzung des Zwischenlagers verhindern. Am 25. April 1995 kam dann der erste Castor-Transport nach Gorleben, einen Tag vor dem neunten Jahrestag von Tschernobyl! Und da hat Angela Merkel wieder was sehr Aufschlußreiches gesagt. Angesprochen auf die riskanten Verladepraktiken, antwortete sie: ›Beim Kuchenbacken geht auch mal ein bißchen Backpulver verloren.‹«
Das Handy gibt jubelnde Töne von sich. Frau Tietke lächelt und sagt: »Komisch, das ist eine Castor-SMS mit Infos über den Stand der Dinge; es finden ja grade drei Castor-Transporte vom Forschungsreaktor Dresden-Rossendorf ins Zwischenlager nach Ahaus statt, sechzig Stunden Fahrt. Da wird natürlich blockiert und demonstriert, der Widerstand ist überall! Sehen Sie, an solche Kommunikationsmittel war ja früher nicht zu denken. Aber wir haben trotzdem Wege gefunden, uns zu vernetzen bei den Aktionen. Bei uns hier findet die sogenannte ›Grüne Woche‹ immer im Herbst statt. Für uns Bauern heißt das, die Herbstbestellung ist dann abgeschlossen, Kartoffeln sind eh raus, das einzige, was noch ansteht, sind Rüben, die müssen aus der Erde raus und in die Zuckerfabrik gebracht werden. Die Zeit ist relativ günstig, aber es bleibt natürlich noch genug Arbeit liegen. Früher, als hier andauernd was war, da haben mein Mann und ich z. B. oft dermaßen unsere Arbeit vernachlässigt, daß es Krach gab mit den Schwiegereltern.
Also, wir kennen das Procedere heute auswendig, obwohl die Auflagen die man uns macht, z. B. Demonstrationsverbot, Beherbergungsverbot usw., immer schärfer werden. Das Neueste aus dem niedersächsischen Innenministerium: Wer sich in Gorleben ankettet, hat mit Gentests zu rechnen! Das ist die Antwort, die sie gefunden haben auf den tödlichen Unfall eines jungen französischen Castor-Gegners im Herbst 2004. Der hatte sich in Lothringen am Gleis angekettet und ist vom Zug überrollt worden. Es war in einer Kurve, der Zug ist viel zu schnell gefahren, der Beobachtungshubschrauber war zum Tanken. Also, daß dieser junge Mensch, der Sébastien Briat, sterben mußte – er ist so alt wie mein Sohn –, das hat mich zutiefst berührt, berührt mich immer noch. Und es ist wirklich eine Tragik, daß er unseren deutschen Atommüll blockiert hat, der aus der WAA La Hague kam. Aber damit hat er zugleich ein Prinzip der großen Widerstandsbewegung
Weitere Kostenlose Bücher