Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
Albert Einstein? ‹ ist, glaube ich, der Titel?« Bettina Wassmann fragt: »Ist die gut? Also, Thomas Levenson habe ich gelesen, Sie wollen aber Gero von Boehm, soll ich’s bestellen?« Die Kundin braucht es aber sofort und wird zum nächsten Buchladen geschickt, der ein paar Häuser entfernt ist.
»Also, ich habe ganz klein angefangen, war quasi die erste linke Buchhandlung und habe den gesamten Marx bestellt. Da war der Laden dann bereits so gut wie voll, insgesamt übervoll. Ich habe noch nie so einen vollen Laden erlebt. Mein erster Kunde war Günter Abramzik, er war ein guter Freund von Bloch. Später war er Pastor Primarius am Dom zu Bremen und auch zuständig für die Evangelische Studentengemeinde nach der Gründung der Bremer Universität, 1971. Die waren sehr progressiv. Ich habe auch was von ihm herausgegeben: ›Von wahrer Duldung ‹ .
Na ja, dann gabs die Ausschreibung für den Uni-Buchladen; wir haben uns beworben und ihn bekommen. Aber es war auf Dauer einfach zu viel Streß und Hektik. Inzwischen war der Laden hier umgezogen, und ich hab den Uni-Buchladen dann wieder aufgegeben. Aber das war später. Ich wollte ja erzählen, wie alles losging mit Alfred. Wir – Barbara Herzbruch und ich –, wir wohnten zusammen, waren befreundet. Sie wurde übrigens später die zweite Frau von Klaus Wagenbach. Also, wir gingen Anfang der 70er in eine Vorlesung von Alfred Sohn-Rethel, der Gastprofessor war. Das Thema war ›Geistige und körperliche Arbeit‹. Wir haben über den Titel sehr gelacht. Es war komplett voll. Es herrschte eine ungeheuer konzentrierte Atmosphäre. Ich habe überhaupt nichts verstanden, nichts! Machen wir uns klar, wenn man in der marxistischen Terminologie nicht so zu Hause ist, auch nicht in der Ökonomie, dann ist es unmöglich. Ich habe Barbara immer angestoßen, aber sie hat auch nichts verstanden, obwohl sie Ökonomie studierte. Was aber sehr faszinierend war, war die Komplexität dieses Menschen, der da saß. Er hatte auch in den Pausen eine geradezu phantastische Ausstrahlung. Es war sehr still, aber er war überhaupt nicht autoritär. Er war herzlich, sanft, warm. Er wurde verehrt und hat das ohne Eitelkeit hingenommen. Er war ein ganz besonderer Mensch, und mich hat das sehr beeindruckt.
Kennengelernt habe ich ihn dann während eines Festes. Er wohnte zum ersten Mal in seinem Leben in einer Wohngemeinschaft – mit 74 Jahren! Bei Thomas Kuby war das, und man hat ihn da unter die Fittiche genommen, es gefiel ihm gut. Und auf diesem Fest haben wir uns ein bißchen unterhalten und auch verabredet. Das war 1973. Und dann tauchte Alfred hier im Buchladen auf, und er kaufte viel zu viele Bücher, vielleicht aus Absicht, er konnte sie gar nicht transportieren und fragte, ob ich sie ihm liefern könne. Also, es gibt Begegnungen im Leben, wo man plötzlich nicht sprechen kann. Ich dachte, na was ist das denn! Ich war richtiggehend schüchtern, das ist sonst gar nicht meine Art. Und ich habe also die Bücher hingebracht, wir haben uns unterhalten.
Ich habe auch wieder gesprochen, viel über Benjamin. Das war ja schon in Wolffs Bücherei losgegangen, da war der ›Angelus Novus‹ erschienen und ein anderer Band, ›Illumination‹, es gab ja diese Werkausgabe, gebunden, später dann die Briefbände. Wir sind dann so zweimal in der Woche essen gegangen, und ich habe ihn immer gebeten, daß er mir aus der Zeit der Emigration erzählt, vor allem von Benjamin, der gemeinsamen Zeit in Paris, der Zusammenarbeit. Und von Adorno in Paris, und wie das damals war, mit dem Institut für Sozialforschung usw. Ich habe das alles in mich aufgenommen, er hat sehr schön erzählt. Manchmal dachte ich, es ist vielleicht unhöflich, daß ich ihn immer sozusagen nach den Berühmtheiten frage, aber ich war plötzlich irgendwie wieder blockiert, konnte nicht sprechen, die ganze Aura hat mich gefangen genommen. Dabei war er gütig und lieb und hatte überhaupt nichts von jemandem, der einen gleich zwirbelt, wie Adorno.
Irgendwann ist Alfred dann zu uns in die Bismarckstraße, zu Barbara Herzbruch und mir gezogen. Und da gings dann enorm los. Wir haben richtig ein Haus geführt, abends saßen bei uns die Freunde von der Uni und es wurde natürlich richtig gekocht, auch Alfred hat gekocht. Und auch mit meiner verlegerischen Arbeit ging es dann los, mit der Festschrift zu Sohn-Rethels 80. Geburtstag. Da habe ich mir eine Festschrift einfallen lassen, ›L’invitation au voyage‹ ist der Titel, das ist
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