Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
dem BKA, dem BGS, Ausländerbehörden, Sozialämtern, Ausländerbeauftragten, Rechtsanwälten usw., mit den Stellen jenseits der Grenze und natürlich mit den Selbsthilfeprojekten hier und dort; es gibt eine starke Vernetzung, und nur so kann man dem Problem ja begegnen. Aber das hat natürlich seine Zeit gedauert, ich kehre jetzt erst mal ins Jahr ’98 zurück. Damals bekam ich übrigens, als Auszeichnung für mein soziales Engagement quasi, als einzige Frau von ganz Brandenburg eine Einladung zum Neujahrsempfang beim Bundespräsidenten Herzog. In der Einladung stand drin, ich soll in einem kleinen, kurzen Kostüm erscheinen. So was hatte ich gar nicht. Und ich hasse es, wenn man mir Vorschriften macht, was ich anzuziehen habe. Also bin ich gar nicht hingegangen. Und dann hatte sich hier ein Problem unerträglich zugespitzt: Der Bürgermeister – ein CDU-Mann, mit seinem Vorgänger von der SPD habe ich mich prima verstanden –, der hat sich zu meinem persönlichen Feind entwickelt. Ich kannte ihn noch aus DDR-Zeiten, da war er ein kleiner Diakon. Nun hat er mich und das Frauenhaus mit haltlosen Vorwürfen überzogen, das ging so ein ganzes Jahr lang, und wir haben uns besprochen im Vorstand und beschlossen, wir geben das Frauenhaus zum 1.1.1998 ab, übergeben es dem Bürgermeister. Der wollte ja nur mich als Person weghaben und war gar nicht vorbereitet.
Wir haben uns deshalb so entschieden, weil inzwischen die Aufgaben Aids-Prävention, Streetwork und vor allem Opferbetreuung, Zwangsprostitution immer intensiver geworden waren. Wir mußten dann natürlich raus aus dem Frauenhaus und uns neue Räume suchen und haben ganz schlechte gefunden, in Eisenbahnnähe, eine Art Kellerwohnung, und dort hat man uns immer noch nachgeschnüffelt usw. Ich kannte aus meiner Arbeit im Wichernheim die hiesige Oberin vom Lutherstift. Das Wichernheim hat sich ja nach dem Krieg um ›gefallene Frauen‹ gekümmert, das ist also ein reiner diakonischer Auftrag, und deshalb begreift es die Diakonie auch als ihre Aufgabe, Opfern von Menschenhandel zu helfen. Die Oberin hat uns also das alte Holzhaus angeboten hier auf dem Gelände, und inzwischen sind wir ja in einem Steinhaus, wo mehr Platz ist. 2003 wurden wir Mitglied im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg, und das war das Beste, was wir tun konnten! Hier haben wir ein Dach über dem Kopf und sind in Sicherheit, man läßt uns in Frieden. Wir sind im Dachverband der Diakonie, wir sind ein Länderprojekt und haben auch eine Länderaufgabe. Inzwischen finden die Vernehmungen der Opferzeuginnen sogar hier in unseren Geschäftsräumen statt, das ist für die Zeuginnen viel angenehmer als auf einem Revier, denn sie kennen uns ja.«
Wir bitten sie, uns mal von einem solchen Fall zu berichten. Sie überlegt kurz und erzählt: »Eine junge Frau aus Litauen kam zu uns, der war Folgendes passiert: An ihrem Geburtstag zu Hause, da hat eine Freundin, noch aus der Buddelkiste, gefragt, wollen wir nicht an irgendeinen See fahren und feiern? Die Freundin hatte einen türkischen Freund. Sie fuhren zu dritt zu einem See, um zu feiern. Aufgewacht ist sie erst wieder, da war sie bereits in Deutschland. Sie sieht, wir ihre Freundin von dem Türken Geld kriegt. Man hatte ihr K.o.-Tropfen verabreicht. Dann wurde sie in ein Eros-Center gebracht, sie war vollkommen unter Schock. Der Paß wurde ihr abgenommen, man schloß ihre Tür ab. Und als sie sich grade aufs Bett gelegt hat, um etwas zur Ruhe zu kommen und nachzudenken, da wurde die Tür aufgeschlossen und einer kam rein und hat sie vergewaltigt. Das ist eine übliche Methode, um die Frauen durch Terror gefügig zu machen. Dort mußte sie dann arbeiten, hatte viele Kunden zu bedienen, zehn bis fünfzehn pro Tag. Sie klagt heute noch über Unterleibsschmerzen, ist hochtraumatisiert und kriegt immer so einen Tick, wenn sie davon erzählt. Ganz schlimm! Also, sie konnte durch Zufall entkommen und kam zu uns, hat auch umfangreich ausgesagt; das Verfahren lief so etwa zwei Jahre, der Türke wurde verurteilt, dem Mädchen wurde zu Hause der Prozeß gemacht, der Menschenhändlerin. Übrigens, 15 bis 20 Prozent der am Menschenhandel beteiligten Personen sind Frauen dieser Art. Na ja, das zog sich hin, sie brauchte auch therapeutische Hilfe, und wir haben sehr um einen Aufenthaltsstatus gekämpft. Plötzlich teilte sie uns mit, daß sie zurück will nach Litauen. Wir haben sehr abgeraten, aber sie hatte Heimweh. Wir sprachen alles mit der
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