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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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auf den Beinen und bin in den Kiosk, habe beim Lieferanten alles gekündigt, dann das, was da noch war, alles eingepackt. Mir ging’s gar nicht gut.« Telefon … »Da war ein netter Herr von Siemens, der sagte, ja, meiner Frau ging’s genauso, die hatte auch ›die Rose‹.« Ein Vater mit seinem Sohn steht vor der Luke. R.: »Guten Tag, was soll’s denn sein?« K.: »Eine Schlange bitte, eine rote.« V.: »Ist die lang! Und für mich noch die Computer-Welt . Danke, auf Wiedersehen.« Frau Reinke streicht über ihr Bein. »Ich hatte eine Wundrose, von der Haarwurzel bis zum Zeh, durch Schock ausgelöst. Ich sah aus wie neunzig, ging am Stock. Und die Gesundbeterin, die er mir empfohlen hatte, die sagte: ›Nein, so was habe ich noch nicht gesehen. Ich mach’ das vierzig Jahre schon. Mein Sohn darf das gar nicht sehen, das kostet mich so viel Kraft!‹ Insgesamt drei Mal war ich da, dann wurde es besser, und ich konnte wieder ein bißchen laufen.« K.: »Tag, eine Marlboro light und ein Bier, bitte.« Frau Reinke reicht das Gewünschte hinaus und auch ein paar kleine Hundekuchen, für den vierbeinigen Begleiter. Sie bewegt sich trotz ihres Alters und ihres kranken Beines energisch und rasch in ihrem winzigen Reich hin und her, bückt sich, greift weit hinauf, hebt Bierkästen und rückt Zeitungsbündel zur Seite, um die Kundenwünsche zu erfüllen.
    »An den Tatsachen war aber nun nichts mehr zu ändern. Der Kiosk wurde abgerissen, das Fundament kriegten sie kaum klein. Das hatte mein Mann gemacht. Die Kriegsgeneration, die hat ja alles gebaut für die Ewigkeit. Und dann war ich acht Jahre zu Hause, ohne Einkommen. Wenigstens hatten wir eine Wohnung. Opa hatte ja damals das Haus gekauft in Lankwitz, altes Mietshaus mit drei Wohnungen, oben drin wir, im dritten Stock. Da sitzen wir heute noch drin. Und in diesen …« Telefon. »… sechs Jahren, da habe ich darum gekämpft, daß ich hier diesen Kiosk aufstellen darf, in dem wir jetzt sitzen. Jeden Tag auf’s Amt in den Steglitzer-Kreisel gefahren. Immer haben sie’s mir abgelehnt. Drei Jahre habe ich alleine gekämpft, dann bin ich zum Lüder gegangen, der ist ja Rechtsanwalt. Wie ich noch in meinem Kiosk war, in seinem Vorgarten, da war er ja Bürgermeister damals. Ich habe immer seine Schlüssel gehabt, das war ein Vertrauensverhältnis. Ich habe seinen Tagesspiegel aufgehoben und seine Post für ihn verwahrt. Es war auch mal so ein verdächtiges Päckchen mit bei. Da war grade die Lorenz-Affäre damals. Eine Weile wurde der Lüder von der Polizei bewacht, Tag und Nacht, und der Kiosk und ich wurden gleich mitbewacht.« (Februar 1975 Entführung d. damal. Berl. CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz durch die »Bewegung 2. Juni«, zwecks Freipressung mehrerer inhaftierter RAF-Mitglieder. Nach ihrer Ausreise i. d. Südjemen wurde Lorenz a. 2.3.75 freigelassen, Anm. G. G.). »Na, passiert ist ja nichts, zum Glück. Und der Lüder hat mir dann ab 1983 sehr geholfen. Der hat drei Jahre für mich gekämpft, und für die drei Jahre hat er nur 1500 Mark insgesamt verlangt.« Mehrere Kunden werden bedient. R.: »Na?« K.: »Schon wieder bin ich der Letzte – egal, wo, ich bin immer der Letzte! Ich möchte endlich mal der Vorletzte sein.« R.: »Ich nicht! Die Letzten haben auch was Gutes. Wiedersehen.
    »Ich wollte diesen Kiosk unbedingt, hier auf diesem Platz, und es hat ja dann geklappt. Nee, auch die Summe hat mich nicht abgeschreckt. Ich habe das Haus verpfändet. Meine Mutter hat geschimpft und geklagt: Du machst uns heimatlos, wir haben wieder keine Heimat! Meine Mutter starb 1986 an einem bösartigen Tumor im Kopf, mit 72 Jahren. Sie hat meine beiden Töchter großgezogen, und ich war der ›Ernährer‹, sozusagen. Sie hat die ganzen Kämpfe noch mitgekriegt, aber den Kiosk, den hat sie nicht mehr gesehen.« Telefon. Wir erwähnen, daß im April 1986 auch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl war. »Ach, das war auch ’86? Aufgemacht habe ich ja erst am 9. Dezember. Na, und seither sitze ich hier und gucke mir das an, wie alles schlechter wird. Es war schon vor der Wende schlechter. Nach der Wende ist es für kurze Zeit ein bißchen aufwärtsgegangen. Und ganz schlecht wurde es nach der Euro-Einführung. Ab da ist alles furchtbar geworden! Früher haben wir noch viel verkauft, so über Astrologie und Horoskope, das ist total zurückgegangen. Die Leute glauben an nichts mehr! Früher haben wir z. B. auch sehr viele Spiegel verkauft, jetzt nur noch 25 bis

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