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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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entwickelte es, um genauere Korrekturen am Sehnerv vornehmen zu können. Da war er dreiundzwanzig Jahre alt.«
    »Nur den Oberkörper frei machen, bitte«, antwortete Alina ihrem unheimlichen Patienten.
    Zum hundertsten Mal an diesem Tag verfluchte sie Stoya, der sie zu dem Wahnsinnsunterfangen verleitet hatte.
    »Bitte, tun Sie mir den Gefallen«,
hatte er sie angefleht und dabei so getan, als lägen nicht alle Trümpfe in seiner Hand. Als verfügte der Kommissar nicht über Informationen, mit denen sie erpressbar war. Informationen, für die sie alles tun würde.
    Verdammtes Arschloch, jetzt bin ich hier.
    Hier, in diesem Kabuff der geschlossenen Abteilung des Gefängniskrankenhauses, in dem es nach Desinfektionsmittel und gummiertem Fußboden roch, in dem ihre Worte gegen kahle Wände prallten und in dem sie nichts verloren hatte.
    »Sie sind doch vorsichtig?«, fragte Suker. »Nicht, dass Sie mir weh tun.« Alina hörte ein unangenehmes, fast obszönes Geräusch, erzeugt durch einen hageren Körper, der sich auf einer Kunstlederpritsche zurücklehnte.
    Keines von Sukers Opfern war unmittelbar durch seine Hand gestorben. Die körperliche Folter hatten die Frauen überlebt, nicht aber die seelischen Wunden, die er ihnen während des tagelangen Martyriums beibrachte und die die Ursache für ihren späteren Selbstmord waren. Zwei Frauen hatten sich erhängt, eine war in der warmen Badewanne verblutet. Die letzte und gleichzeitig jüngste hatte sich in Friedrichshain einer Straßenbahn in den Weg gestellt.
    »Bitte bleiben Sie zu Beginn meiner Behandlung aufrecht sitzen«, sagte Alina.
    Der Chefarzt der Anstalt hatte ursprünglich darauf bestanden, bei der Untersuchung des Häftlings anwesend zu sein, aber Kriminalhauptkommissar Stoya, der für diese ungewöhnliche Behandlung keine Zeugen wünschte, hatte diesen Wunsch ignoriert, und jetzt befand sich Alina alleine mit einem Monster im Behandlungszimmer der Gefängnisklinik. Allein mit einer Bestie, die sie gleich würde berühren müssen.
    Der Raum wurde mit versteckten Spezialmikrophonen abgehört, und vor der Tür standen zwei bewaffnete Beamte, die beim kleinsten Verdachtsmoment die Türen aufreißen und ihr binnen Sekunden zur Seite stehen würden. Dennoch war Alina alles andere als wohl bei dem Gedanken, mit einem weder durch Zwangsjacke noch Handschellen gesicherten Psychopathen eingeschlossen zu sein, auch wenn sie wusste, dass Suker noch nie spontan und niemals mit bloßen Händen getötet hatte.
    Zarin Suker.
Schon der Name klang wie ein Schuldeingeständnis. Klang nach Angst, Schmerz und Qualen. Natürlich war ihr bewusst, dass sie von den Schlagzeilen der Regenbogenpresse beeinflusst war, die den achtundfünfzigjährigen Augenarzt bereits vorverurteilt hatte: als Frauenschänder und bestialischen Folterknecht.
    Alina fuhr mit der Hand über die Resopaloberfläche des Besprechungstisches, auf dem sie ihren Rucksack abgestellt hatte. Er fühlte sich an wie die Tische, an denen sie als Kind die Schulbank drücken musste. Sie wunderte sich, wie die tiefen Rillen und Kratzer in die Oberfläche gelangt waren. Ihr hatte man in der Sicherheitsschleuse der Vollzugsanstalt alle spitzen Gegenstände abgenommen.
    »Was ist mit Ihren Augen geschehen?«, fragte Suker unvermittelt. Sie hatte die Frage erwartet, da sie eine Sonnenbrille trug, wie immer, wenn sie auf Menschen traf, die sie nicht leiden konnte, unangenehme Patienten zum Beispiel. Bei derartigen Begegnungen empfand sie die Brille wie ein Visier, das sie vor zudringlichen Blicken schützte.
    »Meine Augen tun hier nichts zur Sache«, sagte sie und rief sich den Grundriss des quadratischen Raumes ins Gedächtnis. Sie war eine Stunde früher gekommen und hatte ihn studiert, bevor Suker von zwei Wachleuten hereingeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie den Abstand zwischen Tisch, Pritsche und Stühlen bereits verinnerlicht. Sogar die Wände hatte sie mit den Händen abgetastet, bis sie sich buchstäblich blind in dem Raum zurechtfand.
    In einer vertrauten Umgebung bewegte sie sich stets so selbstsicher, dass vielen Menschen ihre Sehbehinderung erst nach einer Weile auffiel, was nicht zuletzt an ihrem auffälligen Äußeren lag. Alina war blind und dennoch ein optischer Mensch. Sie musste die Welt, in der sie lebte, nicht mit eigenen Augen sehen, um zu wissen, dass Äußerlichkeiten in ihr wichtiger waren als innere Werte. Die Verpackung definierte den Inhalt. Nur ein Narr konnte diese banale Lebensweisheit

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