Der Augenjäger / Psychothriller
ihre Frage mit einer Verzweiflung heraus, die schlimmer war als alles, was Alina je aus dem Mund des Mädchens gehört hatte. Gleichzeitig ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie wurde von starken Händen nach vorne gerissen und stolperte ins Haus hinein, wo sie neben Nicola zu Boden stürzte.
»Ich verstehe nicht …«, sagte Alina, die zu begreifen versuchte, warum Johanna Strom ihnen gegenüber plötzlich gewalttätig geworden war.
»Das ist nicht meine Mutter«, schrie Nicola, während hinter ihnen die Haustür ins Schloss fiel.
»Wie wahr«, lachte die Frau in ihrem Rücken. »Die hat die Klapse in Hamburg nie verlassen.« Sie stieg über Alinas Kopf hinweg und gab ihr einen Tritt, dass sie auf den Rücken fiel. »Mein Name ist nicht Johanna Strom. Aber Sie können mich Iris nennen.«
Das Nächste, was Alina spürte, war das Brotmesser in ihrem Unterleib.
65. Kapitel
Alexander Zorbach
D u kommst zu spät«, sagte Stoya und packte mich am Arm. Ich riss mich los, eilte aus dem Fahrstuhl.
Wir befanden uns im dritten Stock des Neubaus. Ein auf den Putz gemalter Wegweiser zeigte nach rechts für die intensivmedizinische Abteilung.
»Hör mir doch bitte erst mal zu«, keuchte der Kommissar hinter mir. Er hatte Mühe, Schritt zu halten. »Wo willst du denn hin? Du kannst hier ohnehin nichts mehr ausrichten.«
»Wo?«, fragte ich und drehte mich im Laufen zu Stoya um. »Wo ist Frank?«
Vor zwei Minuten hatte Stoya mich vor dem Martin-Luther-Krankenhaus abgefangen, um mich über die neuesten Entwicklungen zu informieren.
»Weil du befangen bist, dürfte ich dir eigentlich keinen Einblick in unseren Ermittlungsstand geben, Alex«, hatte er gesagt und sich dabei eine Zigarette angezündet, als hätten wir alle Zeit der Welt. »Nur so viel: Du hast ihn übel erwischt. Frank hat versucht zu fliehen, doch der Blutverlust wegen der Schusswunde in der Schulter war so groß, dass er sich am Ende lieber freiwillig gestellt hat, als draufzugehen. Er hat sich halbtot bis zum Krankenhaus geschleppt, man fand ihn leblos vor den Stufen.« Stoya lachte. »Freu dich. Es ist vorbei. Wir haben den Bastard.«
Darauf hatte ich Stoya die einzige Frage gestellt, die mich interessierte: »Was hat er gesagt?«
Wo ist mein Sohn?
»Gar nichts. Er war nicht mehr ansprechbar. Sie haben ihn versucht zu stabilisieren, aber der Stress und die Schmerzen haben seinen Kreislauf zusammenbrechen lassen. Sie versuchen ihn zu retten, Professor Gruenberg sagt allerdings, die Verletzungen …«
Als Stoya bedauernd mit den Achseln zuckte, hatte ich ihn stehen lassen, und seitdem rannte er mir hinterher.
»Wo ist er?«, rief ich und bog um die Ecke, wo ich beinahe mit einem Arzt zusammengestoßen wäre, der mir in letzter Sekunde auswich.
»Hey, passen Sie auf. Das ist keine Rennstrecke.«
Ich verfiel dennoch in Laufschritt, der Abstand zwischen mir und Stoya wurde größer.
»Ist er hier drinnen?«, rief ich und blieb stehen.
Ich deutete auf eine gläserne Flügeltür am Kopfende des Ganges. » OP I – III« stand in reflektierenden Lettern auf einer Rauchglasscheibe.
Ohne die Antwort abzuwarten, drückte ich auf die Klingel neben dem Eingang.
»Zorbach, bitte beruhige dich.« Stoya hatte mich eingeholt und beugte sich hustend nach vorne. Ich ließ den Finger auf der Klingel, doch die Tür wurde nicht geöffnet. Stattdessen näherte sich ein Arzt auf dem Flur und blieb neben mir und dem Kommissar stehen.
»Wohin wollen Sie?« Der Mann war klein, von schwammiger Statur, mit abstehenden Ohren und einem Vollbart, was ihn wie eine erwachsene Micky Maus aussehen ließ. Den Mangel an Autorität in der Erscheinung machte der Befehlston in seiner Stimme wett.
»Sie können da nicht rein. Da wird operiert.«
»Sind Sie Chirurg?«, fragte ich und trat einen Schritt zurück.
»Allerdings.« Er drückte auf einen Schalter in der Bandenleiste an der Wand, und die Glastür sprang nach innen auf. Dann machte er den Fehler und wandte sich an Stoya: »Ich halte Sie auf dem Laufenden, sobald es eine Entwicklung gibt.«
Als er in den OP -Bereich gehen wollte, stellte ich mich ihm in den Weg. »Professor Gruenberg?«
»Nicht jetzt, ich muss mich beeilen.«
Ich berührte ihn am Arm. »Nehmen Sie mich mit. Bitte.«
»Das ist unmöglich.«
»Kommen Sie, geben Sie mir sterile Sachen.«
»Darum geht es nicht. Unbefugten ist der Zutritt verboten. Zum Wohle der Patienten.«
Er wollte an mir vorbei, doch ich packte ihn am Kragen seines Kittels. »Das
Weitere Kostenlose Bücher