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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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freundlich sein.«
    Über dem Tresen, der das Zentrum des Raumes bildete, hing ein kleiner Fernseher, dessen Bildschirm so ausgerichtet war, dass die Benutzer der Spielwiese rechts von der Theke einen Pornofilm sehen konnten, während sie sich vergnügten. Bei meinem ersten Besuch waren die latexüberzogenen Matratzen verwaist, dafür saßen mehrere Pärchen und Singlemänner an der Bar. Fast alle trugen Badelatschen und Handtücher, die sie sich um die Hüfte gewickelt hatten.
    Zu meinem Erstaunen sahen die meisten Besucher nicht so schlecht aus, wie ich vermutet hatte. Ein junges Pärchen war sogar ausgesprochen attraktiv, ebenso die schlanke Blondine, die mit nassen Haaren von den Duschen kam und sich neben mich setzte. Später sollte ich erfahren, dass Charlie gerade mit zwei Männern gleichzeitig Sex gehabt hatte und nur noch einen Abschiedsdrink nehmen wollte, bevor sie wieder zu ihrem nichtsahnenden Gatten nach Hause fuhr. Sie sah sofort, dass ich zum ersten Mal hier war, und ebenso schnell durchschaute sie die Lüge, die ich mir zurechtgelegt hatte, falls ich hier drinnen einen Bekannten treffen sollte.
    Aus einem völlig irrationalen Grund war es mir peinlich gewesen, ihr meine wahren Beweggründe offenzulegen. Vermutlich, weil ich nicht wollte, dass eine so hübsche Frau dachte, ich hätte es nötig, in einen Swingerclub zu gehen. Sie grinste. »Du recherchierst hier also für deine Zeitung, ja klar. Und ich bin vom Gewerbeamt.«
    Obwohl ich von meinen Eltern aufgeklärt erzogen worden bin, hatte ich meine liebe Mühe, mich auf unser Gespräch zu konzentrieren. Charlie war splitterfasernackt, während sie mir erklärte, dass auch sie immer noch dachte, hier eigentlich nicht »dazuzugehören«. Aber sie sei nun einmal eine Frau mit sexuellen Bedürfnissen, und ihr Mann schlafe schon lange nicht mehr mit ihr. Dann führte sie mich durch die hinteren Räume, zeigte mir das Spiegelzimmer, in dem mehrere Pärchen Partnertausch vollzogen, und führte mich zur spanischen Wand, vor der einige nackte Männer onanierten, während sich zwei Frauen liebkosten. An jenem Abend hatten wir keinen Sex. Ebenso wenig wie an all den anderen Tagen, die seither vergangen waren. Wir führten eine platonische Beziehung, was angesichts der Umstände unserer regelmäßigen Treffen nahezu schizophren war. Denn Charlie bestand darauf, mich ausschließlich in jenem Swingerclub zu treffen. »Nirgendwo sonst sind die Menschen, die man trifft, verschwiegener.« Und so trafen wir uns wieder und wieder und wurden über die immer intensiveren Gespräche im wahrsten Sinne des Wortes intim, wenn auch nicht in einer Art und Weise, für die der Ort unserer Begegnungen eigentlich vorgesehen war.
    Während die anderen Gäste kopulierten, unterhielten wir uns stundenlang, und so erfuhr ich nach und nach, dass ihr Mann es dank seiner Bauernschläue zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht hatte. Ein Geldsegen, den er unter anderem dazu nutzte, sich mit den teuersten Alkoholika dieser Welt in die Paranoia zu trinken und den ungehobelten Proleten herauszukehren. Schon kurz nach der Hochzeit hatte er sich verändert. Er wurde launischer, aggressiver, steigerte sich in eine krankhafte Eifersucht hinein und bezichtigte sie ständig des Ehebruchs, obwohl er bis vor einem Jahr der erste und einzige Mann in ihrem Leben gewesen war. Sogar die Vaterschaft seiner Kinder zweifelte er an und drohte ihr andererseits, sie ihr wegzunehmen, sollte sie eine Scheidung in Erwägung ziehen. Als er sie einmal zu oft geschlagen und dabei als Hure bezeichnet hatte, beschloss sie, seinen Beschimpfungen endlich zu entsprechen. Sie besuchte zum ersten Mal das »Triebhaus«. Es war eine reine Verzweiflungstat; umso erstaunter war sie, als sie feststellte, dass ihr die neue, freizügige Gesellschaft gefiel. Eine Auffassung, die sich mir bislang noch nicht erschlossen hatte. Im Gegenteil: Je öfter wir uns trafen, desto mehr spürte ich, dass mir unsere Gespräche bald nicht mehr genug sein würden. Und irgendwann konnte ich das brennende Ziehen nicht mehr ignorieren, das sich in meinem Magen einstellte, wenn ich sie wieder alleine im Club wusste. Das, was ich unbedingt hatte vermeiden wollen, geschah: Ich wurde eifersüchtig. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich mich bald verlieben. »Bitte versuchen Sie es später noch einmal«, wünschte sich die Computerstimme von Charlies Mailbox, nachdem ich ein drittes Mal auf Wahlwiederholung gedrückt hatte. Wütend warf ich das

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