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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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wenigen Monaten hatte ich mich mit einem großen Werbekunden unserer Zeitung angelegt. Der Lebensmittelfabrikant wollte mir Geld bieten, damit ich die widerlichen Fotos nicht veröffentlichte, die heimlich in einem seiner Schlachthöfe gemacht worden waren. Auf einem davon war zu sehen, wie ein Rind aus einem überladenen Transporter, nur an einem ausgekugelten Vorderlauf hängend, mit einer Seilwinde herausgezogen wurde. Ich ließ mir die fünfzigtausend Euro bar auszahlen. Dann packte ich das Foto wie geplant auf die Titelseite und spendete das »Schweigegeld« an den Tierschutzverein. Unsere Zeitung verlor einen ihrer größten Werbekunden, und ich bekam einen Preis vom Journalistenverband sowie eine Abmahnung von Thea.
    Von meinen vergangenen Problemen, die ich zumeist meinem Hitzkopf zu verdanken hatte, unterschied sich meine gegenwärtige Notlage allerdings in einem gravierenden Punkt: Ich wusste nicht, was ich getan hatte, um die Lawine auszulösen, die sich gerade aufbaute, um über mich hinwegzurollen.
    Die Polizei war in der Redaktion aufgekreuzt. Bei Lichte betrachtet eine logische Reaktion. Es ist kein reines Hollywoodklischee, dass Täter sich zu den Orten ihrer Verbrechen hingezogen fühlen. Wenn ich von einem Typen höre, der sich am Fundort einer Leiche blicken lässt, obwohl der Tatort nur den Ermittlern bekannt ist, beginne ich mit der Recherche über den Kerl.
    Und dann war da noch das Portemonnaie. Ich hatte alle meine Taschen schon Stunden zuvor im Krankenhaus abgesucht. Es konnte mir unmöglich vor Traunsteins Villa aus der Hosentasche gefallen sein, zumal ich den weißen Overall der Spurensicherung getragen hatte, der so gefertigt ist, dass ein Tatort noch nicht einmal mit Kleidungsfasern verunreinigt werden kann. Und Stoya hatte mich in diesem Aufzug gesehen. Im besten Fall konnte er annehmen, ich hätte meine Brieftasche absichtlich dorthin geworfen. Der schlimmste Fall, der mich zum Verdächtigen machte, war weitaus naheliegender.
    Mein Gehirn glich zunehmend einer Popkorntüte, die man in eine Mikrowelle gestellt hat. Unzählige Gedanken poppten unter meiner Schädeldecke umher und zerplatzten, bevor ich sie greifen konnte. Früher oder später würde ich mich einer Vernehmung durch die Polizei stellen, aber zuvor musste ich mich erst einmal sortieren. Ich musste zur Ruhe kommen und mich mit jemandem besprechen, dem ich vertraute.
    Ich griff zum Telefon und versuchte, Charlie zu erreichen. Wie so oft ging sie auch jetzt nicht an ihr Handy, und eine andere Nummer hatte sie mir ebenso wenig verraten wie ihren richtigen Namen.
    Normalerweise rief sie mich zurück, sobald sich eine Gelegenheit fand, doch heute fehlte mir die Geduld, auf den passenden Moment zu warten, in dem ihr Ehemann nicht in Reichweite war, daher versuchte ich es noch einmal. Wieder meldete sich nur die anonymisierte Mailboxansage.
    Mist, wo steckst du nur?
    Ich hatte Charlie seit Tagen nicht mehr gesprochen. Unsere Affäre, wenn man sie überhaupt so nennen konnte, begann ausgerechnet an dem Tag, an dem Nicci mir eröffnet hatte, dass sie sich scheiden lassen wollte. Die Umstände unserer ersten Begegnung waren ebenso absurd wie peinlich.
    Ich könnte mich jetzt auf den Alkoholpegel herausreden, der nur wenige Stunden nach dem endgültigen Scheitern meiner Ehe eine kritische Marke überschritten hatte. Sicherlich spielte an jenem Tag auch der Gedanke eine Rolle, mich an allen treulosen Frauen dieser Welt rächen zu wollen. Im Nachhinein befürchte ich aber eher, dass ich mich selbst bestrafen wollte, als ich den Club betrat. Während ich mich in einem gekachelten Vorraum auszog und meine Klamotten in einen Spind einschloss, versuchte ich mir noch einzureden, dass dieser Abend der Beginn einer neuen Zorbach-Ära werden würde. Einer Lebensphase, in der ich mich nie wieder verlieben, sondern nur noch Sex haben würde. Doch schon als ich den Barbereich betreten und nach einem freien Platz am Tresen gesucht hatte, erkannte ich, wie lächerlich ich mich gerade machte.
    Es war das erste Mal, dass ich einen Swingerclub besuchte, und dennoch fühlte ich mich so, als wäre ich schon hundertmal da gewesen. Alles sah exakt so aus, wie man es sich vorstellt: rotes Pufflicht, Möbel, die ebenso gut in eine Pizzeria gepasst hätten, und Wände, die mit naiven Aktzeichnungen verziert waren. Ein Wegweiser wies die Richtung zur Sauna, zum SM-Keller und zu den Whirlpools. Direkt daneben ein Schild mit dem Hinweis: »Wer ficken will, muss

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