Der Aurora Effekt
verstanden.« Winter konnte nicht anders, in seinem Bauch fing es mächtig an zu kribbeln und das lag nicht an dem Alkohol, von dem er zu viel getrunken hatte.
»Spinner«, warf Angelique ihm lachend zurück. Sie versprachen sich, das Gespräch schon bald an dieser Stelle weiterzuführen und Mark schaltete zufrieden sein iPhone aus. Angelique Brockhaus, sie machen mich hochgradig nervös, dachte er. Winter zog seinen Mantel an, ging hinaus in die nasse Novemberkälte. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und ein frischer Wind wehte ihm um die Nase. Verträumt schaute er die von Laternen spärlich beleuchtete, verlassene Strasse entlang. Dreißig Minuten Fußweg bis nach Hause. Wunderbar, er könnte jetzt stundenlang durch den Regen laufen.
Die Nachricht traf ihn am frühen Sonntag morgen wie einen Schlag in die Magengrube, als sein Telefon unnachgiebig klingelte.
»Frank ist tot«, teilte ihm Peter Falk mit belegter Stimme mit, »er hat es leider nicht geschafft.«
Winter, noch etwas im Halbschlaf, blickte wie erstarrt auf den Boden herab. Sicher, ein Sprung vom Dach des siebten Stocks des Firmengebäudes überlebte man nicht einfach so. Aber verdammt, doch nicht Frank. Frank ist kein Selbstmörder. Warum? Winter, unfähig ein Wort zu sprechen, ließ einfach nur sein Handy auf das Sofa fallen und ging langsam durch seine Wohnung im dritten Stock zum Fenster. Draußen regnete es noch immer und der eisige Wind pfiff durch die Strasse. Es war noch ruhig. Er öffnete sein Fenster und lehnte sich heraus, starrte in den Himmel und dachte an gar nichts. Leere im Kopf. Völlige Leere.
Dick eingemummte Passanten, die um diese frühe Uhrzeit zufällig auf dem Weg zum Bäcker vorbeieilten, konnten nicht sehen, dass es nicht der Regen war, der Winters Gesicht in Strömen herunterlief. Nur ein plötzlicher markerschütternder Schrei ließ einige Hunde in der Nachbarschaft kurz aufbellen und dann war es auch schon wieder ruhig in der Strasse und vereinzelte Sonnenstrahlen kämpften sich langsam durch einige Wolkenlücken des anbrechenden Tages.
Angelique machte sich Sorgen um Winter, konnte sie ihn doch den ganzen Sonntag telefonisch nicht erreichen. Montag Morgen rief sie in aller Frühe in der Agentur an und ließ sich mitteilen, dass Winter noch nicht an seinem Platz wäre. Da sie den ganzen Tag über in Besprechungen war, hinterließ sie eine Nachricht für Winter, ihn gegen Abend noch `mal anzurufen.
Gegen zehn Uhr traf ein völlig verkaterter Winter in der ›Wunschfabrik‹ ein. Die bedrückte Stimmung war überall in der Agentur spürbar und ausnahmsweise lief heute keine leise Radiomusik im Hintergrund.
Peter Falk trat hinter Winter und klopfte ihm aufmunternd auf die Schultern »Er hat es so gewollt, Mark, das war einzig und allein seine Entscheidung.«
Winter sah Falk kurz an und setzte sich dann schweigend an seinen Schreibtisch. Frank Stein war kein Selbstmörder. Winter schaltete seinen iMac ein und widmete sich seinen Emails. Gedankenversunken arbeitet er so vor sich hin, eine Email nach der anderen abarbeitend. Antriebslos saß er dort vor seinem Rechner und hackte in die Tasten. Pflichtprogramm, Angebote checken von Grafikbedarflieferanten, Anfragen von Kunden, Werbemails. Von den etwa zweihundert Mails, die über das Wochenende sein Postfach füllten, hatte er gerade gut die Hälfte gelesen, als er den Drang nach einer Pause verspürte. Kurz entschlossen schnappte er sich seinen Mantel und machte sich auf den Weg raus aus der Agentur, gleich um die Ecke zum Starbucks.
Hätte Winter da bereits seine Emails vollständig geprüft, hätte er festgestellt, dass eine den Absender Frank Steins trug.
Rasch lief Winter die Strasse herunter und bestellte sich zwei Croissants sowie einen heißen Latte Macchiato. Auf dem Rückweg sah er die Alte aus dem Fenster hängen. Die hatte er an diesem Morgen schon fast vergessen. Freundlich grüßte er sie wortlos und wollte schon weitergehen, als diese nur leise säuselte: »Ich hab den Mann gesehen.«
Winter blieb ruckartig stehen und wendet sich der Frau zu. Die Alte blickte ihn mit ihren wachen Augen intensiv an und presste etwas zitternd ihre Lippen aufeinander.
»Was sagten sie da gerade«, fragte Winter verwirrt.
»Ich hab den Mann gesehen. Den, der auf dem Dach stand.«
Traurig blickte Winter die Frau an. »Das war mein Arbeitskollege. Er ist leider an den Folgen des Sprungs gestorben.« Er wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.
»Nein,
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