Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
Vom Netzwerk:
ans Wasser gelaufen war. Mama ist gleich wieder da, irgendetwas in der Art. Kurz danach musste es also passiert sein, jedenfalls bevor Timo mit den Engeln zum Picknickplatz zurückgekehrt war und automatisch davon ausgegangen war, dass Gwen Babette auf ihren Spaziergang mitgenommen hatte. Niedergeschmettert dachte er: Wie ist es bloß möglich, dass ich nicht gesehen habe, dass das kleine Würmchen nicht mehr da war, warum habe ich sie nicht vermisst?
    Hin und wieder las man in der Zeitung, dass am helllichten Tag ein Baby aus einem Kinderwagen gestohlen worden war, der eine halbe Minute unbeaufsichtigt vor einem Geschäft gestanden hatte, oder manchmal sogar aus einem Brutkasten im Krankenhaus. Wie viel leichter musste es demnach erst auf einer belebten Wiese voller Erholungsuchender sein, die in Sport und Spiel vertieft waren, zumal wenn daneben so ein praktischer Radweg verlief.
    Die Täter waren meistens geistig verwirrt.
    Was fingen diese armen Teufel mit einem Baby an, das ihnen nicht gehörte? Betüterten sie es wie eine lebendige Puppe? Haare kämmen, an- und ausziehen, Fläschchen geben, um schließlich den Mut zu verlieren, wenn das Kind nicht aufhörte, zu weinen und zu schreien, zu plärren und zu kreischen? Und dann? Es an den so genannten Fundort zurückbringen? War einer, der so gestört war, dass er anderer Leute Kind raubte, dazu fähig?
    Aber man konnte sich auch andere Szenarien vorstellen. Es liefen nicht nur verzweifelte arme Teufel herum, es gab auch Kinderpornonetzwerke, deren Drahtzieher von den Kellern respektabler Villen oder von unauffälligen Neubauwohnungen aus operierten, ebenso gerissen wie effizient, direkt vor deiner Nase, aber unsichtbar. Und dann gab es ja auch noch den Organhandel, vielleicht nicht hierzulande, aber ein Baby hatte man im Handumdrehen über die Grenze geschmuggelt, mitsamt seinem noch klopfenden kleinen Herzen, seiner kostbaren gesunden Leber, seiner makellosen Haut und seinen einwandfreien Netzhäuten. Nicht zu vergessen, dass Babys in Afrika als das Heilmittel gegen Aids galten. Wer einmal Sex mit einem Baby hatte, sei hinterher wieder rein und uninfiziert, glaubte man dort, das hatte er mal im Fernsehen aufgeschnappt. Wenn man sich also zu sechst oder siebt ein Baby beschaffen konnte, war das...
    Halt.
    Interpol und die Schengenländer waren bereits informiert. Die Polizei hatte sofort einen Kissenbezug und ein Lätzchen von Babette mitgenommen, um einen DNA-Pass von ihr zu erstellen. Das sei routinemäßig der erste Schritt beim Verschwinden eines Babys, hatten ihnen die ermittelnden Beamten versichert, zwei kundige, versierte Männer, die genau zu wissen schienen, was sie taten. Die offenbar das Böse in der Welt kannten wie ihre eigene Westentasche.
    Jetzt hieß es, auf die Hundestaffel und die Taucher warten, denn es war auch nicht auszuschließen, dass sie in dem kleinen Teich ertrunken war. Er schaute auf seine Armbanduhr. Es ging auf halb acht zu. Irgendwo im Haus fuhr Gwen gerade Timo vorwurfsvoll an. Das nahm ihn schrecklich mit.
    Wahrscheinlich durchkämmten die Engel jetzt gerade mit Speeren und Beilen die ganze Umgebung, Klaar und Karianne im Schlepptau. Die Mädchen nach Hause holen, sie beruhigen und ins Bett bringen, war das Mindeste, was er tun konnte. Dann konnte er seine eigenen Söhne auch gleich zudecken. Als er sich erhob, sah er auf dem Kaminsims eine Reihe Schnappschüsse stehen.
    Babette, höchstens eine Stunde alt, das winzige Gesicht noch formlos nach der Reise durch den Geburtskanal. Sie hatte einen Spitzkopf und viel zu viel Haut, wie eine schrumplige Birne. Das gab sich später von ganz allein, aber was drückten und kneteten Eltern nicht heimlich an so einem Köpfchen herum. Und da Babettes erstes Lächeln, anscheinend auch für sie selbst eine großartige Erfahrung. Und dort eine Nahaufnahme, wie sie hellwach unter dem Rand eines Strickmützchens hervorlugte.
    Sie erinnerte ihn an Veronica. Es war ihm bisher noch nicht aufgefallen, aber sie schaute genauso aus den Augen wie Veronica: Erfüllt von innerem Vergnügen, spähte sie in die Welt hinein.
    Er ließ sich auf das Sofa zurückfallen. Jetzt erkannte er seine tote Frau schon in einem neugeborenen Baby wieder. Viel weiter durfte es nicht gehen. Hatte er nicht im Grunde den ganzen Nachmittag am Teich auf nichts Acht gegeben, weil er mit seinen Gedanken ausschließlich bei ihr gewesen war?
    Plötzlich ging die Tür auf. Beatrijs kam ins Zimmer. Sie sah ihn nicht. Zielstrebig lief

Weitere Kostenlose Bücher