Der Ausflug
womöglich, sie habe ihm nicht geglaubt. Sie schlug die Hände vors Gesicht und wiegte den Körper vor und zurück. Sie konnte es sich nicht erlauben, Leander zu verprellen. Sie brauchte ihn, wenn sie ihr Kind wiederfinden wollte.
Sie ist noch unter uns. Er hatte eine sehr beruhigende Stimme. Und auch schöne Hände. Sensible Hände.
Sie erwartete Timos Rückkehr plötzlich noch sehnlicher als zuvor. War es denn so weit zu dieser Apotheke? Zu ihm war sie auch schon so ungerecht gewesen. Das war niemand von ihr gewöhnt, sie selbst am allerwenigsten. Menschen, die Streit suchten – sie hatte das nie verstanden.
»Soll ich noch eine Kanne Tee machen?« Beatrijs streckte den Kopf zur Tür herein.
»Oh, Bea! Gott sei Dank. Nein, setz dich lieber einfach nur zu mir.«
Beatrijs ließ sich auf der Fensterbank nieder und fing wortlos an, Gwens Schultern zu massieren, ruhig und fest. »Wasfür ein Albtraum«, sagte sie schließlich leise. »Was für ein Albtraum, Gwen.«
»Hast du mich gerade schreien hören?«, murmelte sie mit geschlossenen Augen.
»Nein. Musstest du mal alles aus dir herausfluchen?« »So was in der Art, ja.«
»Kann man dir ja kaum verdenken.«
Mechanisch fragte sie: »Hast du’s geschafft, die Kinder in die Federn zu bekommen?«
»Na ja, ganz ohne Kampf ging es nicht. Sie wollten unter keinen Umständen ins Bett, bis ich auf die Idee kam, sie alle sechs bei Marleen und Marise ins Zimmer zu legen. Große Sprüche und Säbelrasseln, aber im Grunde natürlich nichts als kleine, bange Herzchen. Ich hab also ’ne Menge Matratzen rumgeschleppt.«
»An dir hat der Mensch wenigstens was. Und ein kleiner Mensch ganz besonders.«
»Soll ich deine Füße auch eben massieren?«
Ohne die Augen zu öffnen, drehte Gwen sich um, streifte ihre Slipper ab und legte die Füße auf Beatrijs’ Schoß. Die begann, mit sanften, andächtigen kleinen Rucken an ihren Zehen zu ziehen, einem nach dem anderen. Es tat so gut, dass Gwen beinahe stöhnte vor Genuss.
»Willst du dich nicht kurz hinlegen? Ein kleines Nickerchen machen?«
»Ich kann ja doch nicht schlafen.«
»Weißt du, was Veronica jetzt sagen würde?«
»Ja. Schläfst du auch nicht, so ruhst du doch aus.« Sie mussten beide halb lachen.
»Nie mit leeren Hände in die Küche!«, zitierte Beatrijs.
»All diese wunderbar altmodischen Redensarten von ihr.« »Und ihre Theorien.« Wider Willen war Gwen kurz abgelenkt. »Kanntest du die über die Kinder? Vero zufolge ähnelnBabys nach der Geburt immer am meisten dem Vater. Das sei ein Trick der Natur, um Männer von ihrer Vaterschaft zu überzeugen. Erst wenn sie etwas größer würden, bekämen sie ihr eigenes Gesicht, sagte sie.«
»Na, das ist bei ihren eigenen beiden aber nicht aufgegangen. Niels und Toby sind immer noch Laurens’ Ebenbild.«
»Beruhigender Gedanke für Laurens. Eine Frau, auf die man vertrauen konnte, unsere Vero.«
»Mm«, machte Beatrijs.
Gwen öffnete die Augen. »Was soll denn das heißen? Erzähl.«
»Ach, nichts«, sagte Beatrijs, machte aber ein Gesicht, als bedürfe es keines besonderen Anstoßes mehr, sie zum Reden zu bewegen.
Wir fangen doch jetzt wohl nicht an zu tratschen, dachte Gwen, noch dazu über Veronica und unter diesen Umständen? Entsetzt über sich selbst zog sie die Füße von Beatrijs’ Schoß und stand auf. Sie ging zur Kommode und begann, einen Stapel Windelhöschen neu zusammenzulegen. »Wenn sie Lösegeld fordern«, sagte sie und wagte nicht, ihre Freundin dabei anzusehen, »dann müssen wir uns vielleicht an dich wenden.«
»Das ist doch selbstverständlich. Daran hatte ich selbst auch schon gedacht. Mach dir darüber mal jetzt keine Sorgen.«
»Wirklich?« Gwen drehte sich um. »Hattest du daran gedacht?« Es lag also durchaus im Bereich des Möglichen. Jeden Augenblick konnte so ein Brief eintreffen, dessen einzelne Wörter aus Zeitungsschlagzeilen zusammengeschnippelt waren. Oder es kam ein anonymer Anruf von einer nicht zurückzuverfolgenden Nummer. Das konnte passieren. Das konnte sehr gut passieren.
Sie presste die Hände an ihr nasses Hemd und brach in Tränen aus.
Niels und Toby lagen auf ihren Matratzen neben Marleens Bett. Klaar und Karianne waren neben dem von Marise geparkt. Sie lagen alle sechs auf dem Bauch und waren mit Filzstiften konzentriert bei der Arbeit.
Jedes Mal, wenn Niels kurz aufschaute und die tränennassen Wangen der Zwillinge sah, wurde ihm flau im Magen, und er wurde zugleich halb verrückt vor Aufregung. Wie
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