Der Ausflug
denn Marleen antwortete unfreundlich: »Da, auf dem Waschbecken.«
Yajas Stiefel schrammten so dicht an seinen Händen vorbei, dass Niels die Finger einziehen musste. Man hörte ein Klirren und strömendes Wasser, und als er wieder aufzuschauen wagte, stand Yaja mit einem gespülten Glas in der Hand da. »Macht mal ein bisschen Platz für den Tisch da«, sagte sie sachlich. Und mit diesen Worten war es irgendwie entschieden: Sie hatte jetzt unumstößlich das Sagen.
Widerwillig half Niels, die Matratzen aus dem Weg zu zerren. Danach wurde der mit Dellen, Aufklebern und Leimresten übersäte Holztisch in die Mitte des Zimmers verfrachtet.
Yaja deutete mit dem Zeigefinger in die Runde. »Alle um den Tisch drumrum. Ja, ihr zwei auch, Nullchecker.«
Auf wackligen Beinen stellte sich Niels zu den Mädchen, wobei er Toby fest an der Hand hielt.
Yaja stellte das Glas verkehrt herum auf die Tischplatte. »Wenn du uns reinzulegen versuchst, bist du tot«, sagte Marleen.
Mit der Zungenspitze befeuchtete Yaja ihre Lippen, strich sich die glatten Haare hinter die Ohren, einmal und noch einmal. Dann sagte sie mit schriller Stimme: »Was hab ich gerade gesagt? Als wenn ich Babette was antun würde! Ich würde vielmehr total gut für sie sorgen. Ich weiß genau, wie man Fläschchen gibt und so. Aber das zu beweisen bittet mich keiner. Loser. Ihr seid echt dümmer, als die Polizei erlaubt.« Dann entfernte sie sich unvermittelt aus dem Kreis. Gleich darauf ging das Licht aus.
In der plötzlichen Dunkelheit ertönte Klaars Stimme: »Wo ist Yaja denn jetzt ge ...«
»Scht!«, zischte Marise.
Es blieb eine Weile still.
Nun, da sich seine Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnten, konnte Niels die bleichen Gesichter von Toby und den Zwillingen erkennen. Auch das umgedrehte Glas war gut zu sehen, weil es so glänzte.
Da bewegte sich plötzlich etwas in einer Ecke des Zimmers. Ein leuchtender Totenkopf tauchte auf, der langsam auf ihn zugeschwebt kam. In den tiefen, schwarzen Augenhöhlen funkelte es. Ehe er selbst vor Schreck aufschreien konnte, kam Karianne ihm zuvor.
»Halt die Klappe«, sagte der Totenkopf barsch, »sonst wirddas nichts. Ich leuchte mich nur kurz an, damit ihr sehen könnt, wo ich stehe, kapiert? Und hier bleib ich auch stehen, okay? Damit ihr wisst, dass ich nicht heimlich am Tisch rüttle. Sonst kommt ihr mir wieder auf die Tour.«
Yaja ließ die Taschenlampe sinken und knipste sie aus. Ihr weißes Gesicht blieb schemenhaft im Dunkeln hängen. Allem Anschein nach murmelte sie noch was Giftiges in sich hinein. Dann sagte sie: »Let’s go. Achtet genau auf das Glas.«
Es blieb kurz still. So still, dass man das Haus ächzen hörte, als jammere es auf seine Weise um Babette, die jetzt geborgen in ihrer Wiege hätte schlafen müssen, mit ihrem Stoffhasen neben sich.
»Babette?«, fragte Yaja so leise, dass es klang wie ein Seufzer. »Kannst du mich hören?«
»Ich kapier überhaupt nichts«, flüsterte Klaar. Jemand gab ihr einen dumpfen Stoß.
»Babette!« Diesmal klang Yaja befehlend. »Kannst du mich hören?«
Niels behielt das Glas so scharf im Blick, dass ihm die Augen zu brennen begannen. Vielleicht würde es sich mit herumwirbelndem Rauch oder Nebel füllen, wie das Kristallkugeln im Fernsehen machten. Und in diesem Rauch sah man dann... aber er sah nichts. Gar nichts. Von draußen drang das stetige Rauschen des Regens herein, als weinte inzwischen die ganze Welt um das kleine Mädchen, das durch sein Zutun versehentlich in einem morphologischen Feld verschwunden war.
»Babette! Zum dritten und letzten Mal: Kannst du mich hören? Dann offenbare mir deine Natur und zeige dich!«
Vor Spannung biss Niels in den Ärmel seiner Schlafanzugjacke. Im Glas passierte zwar nichts, doch in Gedanken sah er Babette auf allen vieren durch nebliges Gelände krabbeln. Über ihrem so gut wie haarlosen Köpfchen hing eine tränenförmigeSprechblase, in der mit zittrigen Buchstaben stand: »Hilfe!«
Vor Elend drehte sich ihm schier der Magen um. Er musste dringend Leander fragen, wie er seinen Wunsch ungeschehen machen konnte. Dann kam es eben heraus. Dann waren eben alle böse auf ihn.
Genauso plötzlich, wie das Zimmer vorhin in Dunkelheit getaucht worden war, ging jetzt das Licht wieder an. »Seht ihr?«, sagte Yaja zufrieden.
»Was?«, fragte Marleen.
»Hat sich das Glas bewegt?«
»Nein.«
»Na, dann lebt sie noch. Tote manifestieren sich immer, wenn man sie dreimal anruft. Sie müssen wohl oder
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