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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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anging, war sie total gut: Im Badezimmer hatte auf der Ablage über dem Waschbecken früher immer alles voll gestanden mit ihren Fläschchen und Dosen. Immer wieder waren neue und andere hinzugekommen, nur ihr Lieblingsparfüm war gleich geblieben. Es war in einem birnenförmigen Flakon aus Mattglas mit goldenemVerschluss. Niels hatte es sich gerade noch rechtzeitig stibitzt, bevor sein Vater mit dem Aufräumen angefangen hatte.
    Er ließ sich vom Bett herab und kroch darunter. Ganz hinten an der Wand, wo dicke Flocken Staub herumlagen, stand sein Mama-Aufbewahrungskarton. Sonderlich voll war der Karton nicht, aber das kam, weil seine Mutter erst seit kurzem tot war. Mit der Zeit würden von selbst neue Dinge hinzukommen. Wenn er groß war, würden die Erinnerungen nur so daraus hervorquellen, und Nicky und er würden sie langsam durch ihre Finger gleiten lassen, Abend für Abend, solange sie lebten.
    Er kramte in dem Karton, schob blindlings das Foto beiseite, auf dem seine Mutter ihm am Rand von irgendeinem Schwimmbecken einen Kuss auf die Nase gab. Darunter lag das Fläschchen Parfüm.
    Damit robbte er zurück. Im Hals von dem Fläschchen steckte so ein fieser Plastikstöpsel. Es kostete ihn einen halben Nagel, den rauszubekommen, doch sowie er ihren Duft roch, fühlte er sich schon weniger allein. Damit es noch echter war, träufelte er etwas von dem Parfüm auf ihren Pullover. Wenn er sparsam damit umging, würde das Fläschchen bestimmt ganz lange halten. Begierig drückte er das Gesicht in die flauschige Wolle. Mama, was muss man machen, wenn man verliebt ist?
    »Niels!«, rief sein Vater von unten. »Wir gehen essen!« »Ich komm gleich!«
    »Nein, jetzt , Niels.«
    Sein Vater war ein Kloßkopf. Böse ließ Niels den Pullover von den Schultern gleiten und verließ sein Zimmer. Er war schon an der Treppe, als sein Blick durch die offen stehende Badezimmertür fiel, auf die beiden Gläser, die nebeneinander auf dem Waschbecken standen, beide mit Zahnbürsten darin. Und dabei kam ihm eine großartige Idee. Er schoss ins Badezimmer,schnappte sich eines der Gläser vom Waschbecken und stopfte es schnell in seinem Zimmer unter sein Kissen. Heute Abend, wenn er ins Bett musste, würde er sie einfach fragen. Mama, wie kriege ich Nicky mit auf meinen Autofriedhof?
    »Ruf du an!«, wiederholte Gwen wild. »Komm schon, Tiem. Wenn ich es mache, tun sie mich gleich wieder als hysterisch oder so ab und gehen dem gar nicht weiter nach, aber dir glauben sie, du musst sie anrufen.« Wie viele Minuten waren jetzt schon seit Leanders Anruf verstrichen? Mindestens schon drei! Nein mehr , denn sie war von der Küche aus zuerst noch ganz bis zur Kerzenmacherei gerannt, anstatt einfach dort anzurufen, wo hatte sie eigentlich ihren Verstand gelassen?
    »Aber es ist so wenig konkret«, sagte Timo. Er stand noch immer in derselben Haltung da wie eben, als sie hereingekommen war: halb über einen der Wachskessel gebeugt, als hätten ihn die guten Neuigkeiten vorübergehend gelähmt.
    »Nicht für die Ermittler. Für die ist es bestimmt ein ganz deutlicher Hinweis, was Leander gesehen hat.«
    Jetzt richtete er sich endlich auf. Er wischte sich die Hände an der Hose ab. »Meinst du?« Er hörte sich beklommen und zugleich hoffnungsvoll an.
    »Natürlich! Das ist einfach so!«
    Langsam ging er zum Telefon, das auf der Werkbank stand. Er nahm den Hörer ab und sah sie zaudernd an. »Du hast den Mädchen aber noch nichts gesagt, oder? Dass sie sich keine falschen Hoffnungen machen.«
    Sie schüttelte den Kopf und rang vor Anspannung die Hände. Sie war sofort aus dem Haus gerannt. Klaar und Karianne waren mit ihren lädierten Barbiepuppen beschäftigt gewesen, und Marise und Marleen saßen schon den ganzen Nachmittagoben in ihrem Zimmer und schmollten, weil ihre Judostunde ausgefallen war. »Jetzt ruf doch schon an, Timo!«
    Stirnrunzelnd blickte er auf die Nummer, die sie auf alle ihre Telefone geklebt hatten. Dann nahm er den Hörer ab.
    Ihr war, als verginge zwischen dem Wählen der einzelnen Ziffern jeweils eine Stunde, wenn nicht gar ein Tag oder ein Jahr. Auch das Ritual des Namennennens, Weiterverbundenwerdens und erneuten Namennennens dauerte so lange, dass es ihr so vorkam, als ergrauten darüber ihre Haare und verschrumpelte ihre Haut. Sie würde steinalt sein, wenn Timo seine Nachricht endlich durchgegeben hatte. Auf jeden Fall würde das Wachs im Kessel dann mit Sicherheit fest geworden sein. Mechanisch kontrollierte sie die

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