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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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angeklebtem Bart! Was hatte man eigentlich davon, ein Ritter mit weißer Feder am Helm zu sein? Strauchdieb, Pirat oder Mörder war viel besser: Da konnte man wenigstens allen eine reinhauen. Aber aus irgendeinem Grund musste er plötzlich daran denken, was seine Mutter immer gesagt hatte, und die gemeinen Worte blieben ihm im Hals stecken. »Wie lieb du immer zu Toby bist, mein kleines Marsmännchen. Das machen dir andere große Brüder nicht so leicht nach.«
    Beunruhigt sagte Toby noch einmal: »Doch!« Dann schaute er auf das kaputte Fort, und ihm fiel die Kinnlade runter. »Die Burg ist kaputt!«
    »Na und?«
    Sein Bruder hatte sich schon auf den Boden gesetzt und begann, die Legosteine mit den Händen zusammenzuharken. »Ich mach es wieder heil.«
    »Hau jetzt mal ab.« Niels fasste ihn unter den Achseln und zerrte ihn hoch. »Es ist nicht deine Schuld, dass das Fort kaputt ist, Mann! Und du wolltest doch Pizza essen gehen, oder?«
    »Ja, nachher .«
    »Nein, jetzt .«
    »Kommst du auch?« Toby trödelte noch kurz an der Tür, doch als die Antwort ausblieb, trottete er mit hängenden Schultern aus dem Zimmer.
    Niels setzte sich auf sein Bett. Ihm war kalt. Tagsüber stellte sein Vater natürlich die Heizung ab, um Geld zu sparen. Es schien, als hätte sich alles gegen ihn verschworen. Er hatte ein Pech nach dem anderen. Ausgerechnet jetzt, wo er alles Mögliche brauchte, war kein Geld mehr da. Er brauchte dringend andere Klamotten und dieses Haargel, das die großen Jungen auch alle benutzten. Gut aussehen war der erste Schritt. Sonst hatte er nicht den Hauch einer Chance bei Nicky.
    Darüber brütete er schon, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, nach den Sommerferien, in seiner neuen Klasse. In dem Moment war es ihm vorgekommen, als hörte er superschöne Musik. Sie hatte so einen hübschen Scheitel im Haar, ganz kerzengerade. Sie hielt ihre Tasche so ernst. Sie hob beim Gehen die Füße so vorsichtig, als denke sie genau über alles nach, was sie tat, sogar über so was Normales wie das Gehen. Aber das Allerbesonderste an ihr waren ihre Augen. Sie waren wie die Scheinwerfer vom neuen Alfa Romeo, kugelrund und glänzend.
    Niels seufzte tief, während er an die Karos in ihrem Rock dachte, die grün und rot und vollkommen waren. An ihre runden Knie darunter. An ihre Stimme, die beim Singen manchmal ein bisschen bibberte. An die linke Hand, mit der sie schrieb, sodass man immer meinte, man müsse ihr helfen. Nicky. Dass jemand so heißen konnte. Darauf waren ihre Eltern niemals selber gekommen, das hatten sich bestimmt die Engel im Himmel ausgedacht.
    In seiner Klasse stand Perry auf Barbara, Gijs auf Elisabeth und Herbert auf Annemarijn, das war allgemein bekannt. Und er stand auf Nicky, aber das wusste kein Mensch. Perry, Gijs und Herbert waren cool. Die trugen Skaterhosen. Er hatte nichts anzuziehen, womit er Nickys Aufmerksamkeit auf sich lenken könnte. Und er konnte auch nichts Spezielles, außersinnbetont vorlesen, darin war er der Beste von allen. Aber das kam, weil er von klein auf mit seinem Vater in die Druckerei mitgegangen war. Da lernte man von ganz allein früh lesen. Das war nichts, was er selbst zustande gebracht hatte, nichts, was ihn stark oder einzigartig machte.
    Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er hatte einen Autofriedhof. Wer konnte das schon von sich behaupten? Perry, Gijs und Herbert hatten ihre ganze Autosammlung stinknormal im Schrank stehen, aber er, er hatte seinen liebsten Besitz eigenhändig zu Grabe getragen. »Hier nehmen wir für immer Abschied«, hatte er dabei gesagt. Das musste ihn doch interessant machen.
    Sie würden zusammen unter den Flieder kriechen, Nicky und er. Sie würden sich so nah beieinander über die Grabsteinchen beugen, dass er den Flaum auf ihren Armen berühren konnte. Der war auch so nett, mit den Sommersprossen dazwischen. Aber wie sollte er es anstellen, dass es überhaupt so weit kam?
    Es wurde jetzt wirklich langsam eiskalt in seinem Zimmer. Er zog Mamas Pullover am Kragen unter der Bettdecke hervor und schlang ihn sich um die Schultern. So mit den über der Brust gekreuzten Ärmeln war es, als ob seine Mutter ihn umarmte. Sie hatte diesen Pullover an seinem letzten Geburtstag getragen, als sie ein Transparent über der Straße aufgehängt hatte: NIELS = 7. Seine Mutter hätte bestimmt gewusst, was zu tun war. Sie hätte ihm hundertprozentig eine neue Hose gekauft. Und seine Haare hätte sie natürlich auch sofort hingekriegt, was Haare und so was

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