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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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Leute oft halsbrecherisch schnell, und dazu jetzt noch der Nebel. Wenn sie beim Teich quer hinüberlief, würde sie in zehn Minuten dort sein. Ihre Atemwölkchen hingen schwer in der von Feuchtigkeit gesättigten Luft. Wie das Dampfschiff aus Filz, das auf Babettes meergrünem Trägerkleidchen aufgenäht war, bahnte sie sich ihren Weg durch die Dunkelheit, volle Kraft voraus, alle Mann an Deck.
    Auf der Wiese am Teich konnte man kaum die Hand vor Augen sehen. Sie verlangsamte den Schritt und leuchtete das Gelände mit der Taschenlampe auf Maulwurfshügel und Vertiefungen hin aus. Einen verstauchten Knöchel konnte sie sich jetzt nicht erlauben. Das Lichtbündel strich über ein Kaninchen hinweg, das wie gelähmt im Gras sitzen blieb, die Ohren flach an den Kopf gelegt. »Hab keine Angst«, murmelte sie. Genauso etwas würde sie Babette gern zeigen. Schau mal, ein Kaninchen. Hier, ein Tannenzapfen. Da, ein Schneckenhaus. Kinder, die die Natur schätzen lernten, profitierten davon ihr ganzes weiteres Leben: Die Natur war ihnen fortan immer eine unerschöpfliche Quelle der Freude, des Vergnügens, der Inspiration, ja sogar des Trostes. Denn ein kleines Mädchen, das von seiner Mama gelernt hatte, dass die Farne bei der ersten Frühlingssonne unter ihrem abgestorbenen Laub schonwieder neue, vitale Ausläufer hervorbrachten, so ein Mädchen sah mit eigenen Augen, dass in der Natur das Leben regierte, das unverwüstliche Leben.
    Ein Stück weiter weg erklang der schrille Schrei eines späten Vogels. Ein Bläss- oder Teichhuhn, das war immer schwer auseinander zu halten. Wenn sie nur nicht versehentlich in den Teich fiel. Also sicherheitshalber etwas weiter links halten. Gut ausleuchten.
    Mein Gott, war es dunkel. Wieder dieser Schrei.
    Sie blieb stehen. Klatschnass geschwitzt war sie mit einem Mal. Und plötzlich hing ihr die Jacke bleischwer am Leib. »Babette?«, schrie sie. »Babette?«
    Strauchelnd rannte sie vorwärts. Im Licht der Taschenlampe sah sie die gleichgültigen Bäume, die Sträucher, die Wiese aufblitzen. Ihr war, als komme sie selbst überhaupt nicht von der Stelle, als verharre sie im Auge eines Orkans. »Babette!«
    Eine Stimme rief: »Gwen! Gwen? Bist du das?«
    »Ja! Was... wo...«
    »Komm schnell! Sie ist triefnass!«
    Mit beiden Händen umklammerte sie die Taschenlampe. Sie bebte so sehr, dass sie das Licht kaum ausrichten konnte. Ruckartig ließ sie es über den Stamm der alten Kastanie gleiten, an der immer noch das rot-weiße Polizeiband hing. Unter dem Baum stand Bobbie – mit Babette in den Armen.
    Es war voll und laut in der Pizzeria, wo sie gerade noch den letzten Tisch hatten ergattern können, an dem Laurens jetzt Tobys Pizza in Stücke schnitt. »Ordentlich pusten, ja, das ist heiß.«
    »Hier ist kein Käse drauf.« Besorgt deutete sein Sohn auf die Kruste.
    »Fang einfach mit den leckersten Stücken an.« Es warohnehin zu viel für das kleine Krokodil. »Niels, brauchst du Hilfe?«
    Ohne zu antworten, sägte Niels an seiner Pizza herum.
    Laurens ertappte sich dabei, dass er inständig hoffte, sein Sohn möge beim Hereinkommen gesehen haben, dass die Gläser verkehrt herum auf dem Papiertuch gestanden hatten. Der Ober hatte sie mit schwungvoller Gebärde richtig hingestellt, nachdem er die Speisekarten ausgeteilt hatte. Hinter einem umgedrehten Glas brauchte man nichts Besonderes zu vermuten, die ganze Welt war voll davon. Früher oder später saß jeder mal an einem Tisch mit einem umgedrehten Glas darauf, das musste nichts zu bedeuten haben, das würde Niels doch wohl verstehen?
    »Schmeckt’s, Männer?«
    Toby blies noch auf seinen Teller, als hinge sein Leben davon ab. Niels wand eine zähe Käseschliere um seine Gabel.
    Es war schon viel später, als Laurens lieb war. Sie hatten ziemlich lange auf ihre Pizzas warten müssen. Wenn Toby bloß nicht schlappmachte. Er griff zur Weinkaraffe und schenkte sich noch einmal ein. Plötzlich stieß ihm auf, wie ungemütlich es doch war, für sich allein zu trinken. Er schaute sich verstohlen um. Unter den eingerahmten Fotos von Neapel saßen an allen Tischen komplette Paare, Mann und Frau, oder komplette Familien, Vater, Mutter und zwei Kinder. Einige schon etwas ältere Freundinnen entdeckte er auf den zweiten Blick zwar ebenfalls, aber wahrscheinlich zählten die auch als so eine Art Paar.
    Es war ein kleines Restaurant, da fiel es auf, dass er sich so umschaute. Die Leute begannen zurückzuschauen, zunächst neutral, aber schon bald

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