Der Ausflug
schrieb er in Großbuchstaben auf die Pappe: Für Nicky von Niels. Dass sie beide mit N anfingen, fand er bedeutsam. Unter halb geschlossenen Lidern hervor fixierte er seine Wolken. Vielleicht sollte er Pilot werden, dann konnte er Nicky in einem Düsenjäger mitnehmen, hoch in die Lüfte hinauf. Auf den Rand der größten Wolke zeichnete er noch rasch ein winkendes Figürchen. Das war Mama, die sie vorüberkommen sah. Ihre Haare flatterten, ihre Augen strahlten: Sie war stolz, dass er so ein blitzschnelles Flugzeug lenken konnte. Das Wilde und Abenteuerliche hatte sie immer gemocht. Seine Mutter hatte sich vor nichts gefürchtet.
Nach dem Unterricht bummelte er noch bei seinem Tisch herum. Er hatte sich gründlich überlegt, wie er es anpacken sollte. Diesmal würde er einfach warten, bis alle weg waren. Die Klasse war schon fast leer. Auf dem Flur draußen wurde gejohlt. Durch das Fenster sah er Mütter mit Fahrrädern auf dem Schulhof stehen. Dabei fiel ihm auch wieder ein, dass Toby und er heute direkt nach Hause konnten, das hatte Papa heute Morgen gesagt. Er hatte eine Überraschung für sie.
Eine Überraschung. Wenn sein Vater nun mit einer Torte auf sie wartete, weil er Geburtstag hatte. Früher hatte Mama ihm das immer rechtzeitig zugeflüstert, sodass er etwas Schönes für ihn basteln konnte. Die Großen kannten alle Daten auswendig. Aber er nicht. Es konnte gut sein, dass sein Vater Geburtstag hatte, ohne dass er es wusste. Bei dem Gedanken daran, wie schrecklich er selbst es finden würde, wenn man seinen Geburtstag vergaß, wurde ihm fast schlecht vor Mitleid. Er hatte nicht einmal einen Sternenhimmel für seinen Vater, der wirklich funkelte! Sollte er Nickys Namen schnell wieder ausradieren? Für Papa von Niels.
»Was macht du denn für ein bedripstes Gesicht?«, fragte Nicky. Sie kam durch das leere Klassenzimmer auf ihn zugelaufen und beugte sich über sein Kunstwerk, um es sich noch einmal anzusehen. Sie lachte. »Ach, das ist aber lieb von dir! Das stelle ich gleich zu Hause auf den Kaminsims.«
Widerstrebend gab er ihr seinen Himmel.
Das Lachen auf ihren Lippen erstarb. Sie zeigte auf die kleine Figur. »Ist das Mama?«
Er nickte. Klar. Die Leute taten manchmal so komisch feierlich, wenn es darum ging.
»Weißt du was?«, sagte Nicky. Sie ging in die Hocke und sah ihn ernst an. »Wollen wir beide nicht mal zusammen zum Grab deiner Mama gehen?«
Jetzt war er ganz und gar sprachlos.
»Die anderen Mütter kenne ich ja schon alle«, sagte sie. »Es wäre schön, wenn ich ihr auch mal Guten Tag sagen könnte. Wollen wir das in den Weihnachtsferien zusammen machen? Dann nehmen wir Blumen für sie mit, und dann sagen wir: Hier, von Niels und Nicky, Veronica. Ich bin mir sicher, dass sie uns hört, da oben auf ihrer Wolke. Jetzt übrigens auch.« Sie fuhr mit der Fingerspitze über den schwarzen Karton.
Natürlich hörte Mama ihn, das war nichts Neues, aberNickys Scheitel saß so gerade, und ihre Augen glänzten so, und sie wusste, wie seine Mutter mit Vornamen hieß! Wenn sein Vater heute Geburtstag hätte, hätte sie ihm das natürlich rechtzeitig gesagt, genau wie Mama es immer getan hatte. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, und er rief aus: »Hat man eigentlich noch Geburtstag, wenn man tot ist?«
Sie dachte kurz nach. Ihre Nase war so lieb, und erst der lustige kleine Pickel an ihrer Lippe. »Ja, wieso nicht? Im Himmel wird das bestimmt gefeiert. Daher kommt natürlich auch der Ausdruck: im siebten Himmel sein.«
Er verstand nicht, was sie meinte, aber sie lachte so nett, und ihre Zähne waren so hübsch rechteckig, und wenn sie lief, machte ihr Rock wusch-wusch.
»Was meinst du, Niels? Wie mag wohl eine Geburtstagsparty im Himmel sein?«
»Mit Girlanden!«
»Ja, natürlich. Und alle Engel haben ihr festlichstes Kleid an. Und...«
»...überall stehen Vasen mit Blumen und Schalen mit Keksen!«
Sie lachte wieder.
»Aber sicher«, sagte er forsch.
Sie richtete sich auf. »Ich besprech das mal mit deinem Papa, ja? Und dann gehen wir beide in den Ferien zusammen hin. Ich hol dich mit dem Auto ab.«
Er fühlte sich wie ein Stück Butter, das in der warmen Küche auf der Arbeitsplatte lag.
Laurens hatte sich diesen Nachmittag freigenommen, obwohl er unter Zeitdruck und mit den Gedanken ganz woanders war. Es gab ein Problem mit einer seiner Druckmaschinen, und es war insofern ein ungünstiger Moment, seine Arbeit im Stich zu lassen. Zunächst hatte er an einem mit
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