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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Dorrestein
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ihr die Illusion genommen, man könne Herr über sein eigenes Schicksal sein. Alles war Chaos und Zufall, und dieser Gedanke machte ihr Angst. Sie wollte, dass die Dinge erklärbar waren und zu etwas führten. Leander zufolge war das auch so, nur geschah es auf einer kosmischen Ebene, in die man als Mensch keinen Einblick hatte. Irgendwo existierte also sehr wohl eine lenkende Kraft. Das gab ihr einen gewissen Halt. Einzig und allein dank Leander ging sie nicht völlig unter.
    Sie spürte noch seine Lippen auf den ihren, seine Hände auf ihrer Haut und wusste nicht, ob sie glücklich war oder sichschämte. Sie wusste nicht mal, ob sie überhaupt an die vergangenen Stunden zurückdenken wollte. Es war wie von selbst passiert. Aber einfach nur eine plötzliche Anwandlung konnte es nicht gewesen sein: Er hatte sie »Göttin« genannt.
    Die letzte Etappe, auf der eisglatten Straße am Kanal entlang, fuhr sie im Schritttempo. Das verräterische Kopfsteinpflaster glänzte im Licht ihrer Scheinwerfer. Und da tauchte schon die Imkerei auf, ihr Zuhause. Es brannte nirgendwo mehr Licht. Entgegen ihrer Gewohnheit stellte sie den Wagen auf dem vorderen Hof ab. Sie stieg aus. Unter ihren Füßen knirschte der Kies, den Bobbie einmal die Woche harkte, den Mund zu einem resoluten Strich zusammengekniffen: Ich hab’s gern ordentlich.
    Sie schaute zum Haus hinüber, in dem ihr Mann und ihre Töchter schliefen. Hier hatten sich die glücklichsten Jahre ihres Lebens abgespielt. Hier waren ihre widerspenstigen Kinder gezeugt und geboren worden, in dem Bett mit den drei Beinen. Hier hatte sie mit Timo gelacht, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen, hier hieß sie Maus.
    Es war kalt. Sie konnte den Frost in der Luft schmecken, metallisch und hart.
    In der Küche warf sie ihren Mantel über einen Stuhl und aß, am Kühlschrank stehend, ein Stück Käse. Auf dem Tisch lag ein schiefer Stapel Ordner und Mappen. Ach ja, Timo war heute Abend bei dem neuen Steuerberater gewesen. Jahrelang hatte Frank sich ihrer Bilanz und Steuererklärung angenommen. Und in mageren Zeiten hatte er auf wundersame Weise dafür gesorgt, dass trotzdem noch etwas für sie übrig blieb. Doch nachdem Beatrijs und er auseinander waren, fanden sie es unangebracht, auch weiterhin seine kostenlosen Freundschaftsdienste in Anspruch zu nehmen. Und ihn zu bezahlen konnten sie sich angesichts seines Stundensatzes nicht leisten. Der neue Steuerberater verlangte nur einen Bruchteil diesesHonorars, aber sie mussten jetzt selbst eine Menge mehr tun. Die unbekümmerte Zeit des Schuhkartons mit Quittungen, der Frank immer ausgereicht hatte, war vorbei. Wenn Beatrijs nicht in Leanders Armen gelandet wäre...
    Sie dachte: Damit hat alles angefangen, bis zu dem Moment war unser Leben im Lot. Jetzt haben wir nicht mal mehr Bienen.
    Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie knipste das Licht aus und ging nach oben, wo sie sich die Zähne putzte und mit kaltem Wasser das Gesicht wusch. Im Spiegel begutachtete sie die Linien um ihre Augen und ihren Mund. War die Haut noch gut, so wie sie war, oder wurde es Zeit für feuchtigkeitsspendende, regenerierende Cremes? Ihre Haut war nie ihre stärkste Seite gewesen, das war nun mal so, wenn man viel an der frischen Luft war. Beatrijs, die ihr Leben innerhalb der vier Wände verbrachte, war noch völlig faltenlos. Aber das hatte auch etwas mit Fett zu tun. Dicke Menschen behielten länger ein glattes Gesicht. Durch das viele Liegen hatte sie wahrscheinlich um die zehn Kilo zugenommen. Da würde sie nachher wieder auf vieles verzichten müssen.
    Wenn sie sich mit ihrem dummen Sturz nicht das Knie zertrümmert hätte, wären Leander und sie jetzt verheiratet.
    Gwen legte ihre Kleider ab, studierte beiläufig ihr Profil im Spiegel und zog ihr Schlafhemd an. Sie überkam das schier unbezähmbare Bedürfnis, heute Nacht allein zu schlafen. Wie bitterwenig Raum man in einer Ehe doch für sich hatte. Und überdies war man auch noch für jeden Schritt, den man tat, Rechenschaft schuldig. Wir haben doch nur ein bisschen geknutscht, verteidigte sie sich in Gedanken selbst.
    Auf Zehenspitzen ging sie ins Babyzimmer, um kurz zu schauen, ob Babette ruhig schlief. Im Dunkeln merkte sie nicht gleich, dass Timo neben der Wiege saß, ihr Töchterchen auf dem Schoß. Der Anblick versetzte ihr einen kleinen Schock.
    Sie saßen bestimmt schon seit Stunden dort und warteten auf sie, schoss es ihr durch den Kopf, Vater und Tochter, in stillem Vorwurf

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