Der Ausflug
erfasste, erlag er der Versuchung, ihn anzurufen. Es vermittelte ihm ein Gefühl von Beschämung und Verletzlichkeit, derart in Leanders Macht geraten zu sein. Denn so war es doch. Der Mann hatte sein Wohl oder Wehe völlig in der Hand. Aber um Hilfe zu bitten war kein Eingeständnis des Scheiterns, wie Nicky neulich noch gesagt hatte.
»Fertig. Jetzt nur noch ein Teelicht«, sagte Niels.
Und mit einem Mal kam ihm ein Gedanke. Gewiss, bisher hatte Leander ihn stets schon so ungefähr beim ersten Wort abgewimmelt. Aber würde er auch so hart bleiben, wenn er hörte, dass Niels seine tote Mutter dauernd um sich hatte? Leander dachte, er wolle etwas für sich selbst erreichen, und deshalb winkte er ab. Weil er in seinem Stolz gekränkt war oder weil ein esoterisches oder spirituelles Gesetz so etwas verbot. Aber Leanders Hilfe für ein Kind anzurufen war etwas anderes, etwas, was er mit Sicherheit ernst nehmen würde.
Er musste zu ihm. Einfach klingeln und sagen: Leander, ich bin ein Esel, ich habe mich bisher nicht klar ausgedrückt. Hör mir bitte nur fünf Minuten zu. Es geht darum, dass ich meine Kinder beschützen muss.
Es war so logisch. Am liebsten wäre er sofort losgefahren. Aber es war am anderen Ende der Stadt, und der Feierabendverkehr hatte gerade angefangen: Er konnte Niels und Toby nicht auf unbestimmte Zeit allein lassen, das tat er nie. Und wenn er sie mitnahm und im Auto warten ließ? Es brauchte ja nicht lange zu dauern. Es ging schließlich nur darum, einen Termin zu vereinbaren. Leander würde bestimmt nicht spontan Zeit haben.
»Haben wir denn Teelichter?«, fragte Niels.
»Verflixt, nein«, sagte er. Er setzte Toby ab. »Aber die gehen wir jetzt sofort kaufen. Und weil es schon so spät ist, fahren wir schön mit dem Auto.«
Gwen schaute zu, wie Bobbie blitzschnell Lauch für die Erbsensuppe schnitt. Es wurde Zeit, ihre Töchter hereinzurufen, die auch jetzt im Dunkeln noch im Garten herumtobten: Hin und wieder drang ein kurzer blutrünstiger Schrei durch die geschlossenen Fenster in die Küche. Puh, es war warm am Herd, und das Radio war so laut an. Sie war unruhig und zugleich lustlos, obwohl Veronica gesagt hätte, das sei nicht möglich. Selbst wenn man das Gefühl hatte, zwanzig widersprüchlichen Regungen ausgesetzt zu sein, erlebte man die ihrer Meinung nach nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Eine einzige vorüberflitzende Regung pro Nanosekunde – zu mehr sei das menschliche Herz einfach nicht imstande.
Sie verschob die Mettwurst auf dem Schneidebrett von links nach rechts, damit Bobbie nicht das Gefühl bekam, sie koche ganz allein. Danach starrte sie mit leerem Blick die staubigen Leisten an. Wie gern hätte sie jetzt Vero ins Vertrauen gezogen und um Rat gefragt. Die hätte das Ganze sofort relativiert. Sei kein Frosch, Gwennie, genieß es, wem schadest du denn mit ein paar Tagträumereien?
»Komisch, nicht«, sagte Bobbie, während sie den Lauch in den Topf schüttete, »was man manchmal so alles träumt. Du rätst nie, was ich heute Nacht geträumt hab, Gwen. Ich habe Laurens geheiratet. Verrückter geht’s nicht, was?«
»Nein«, erwiderte sie vage. Hatte Beatrijs nicht irgendwann darauf angespielt, dass Vero selbst auch mal fremdgegangen war? Ja, jetzt fiel es ihr wieder ein, es war an dem Abend von Babettes Verschwinden gewesen. Aber sie musste das falsch verstanden haben, das konnte einfach nicht sein. Veronica und Laurens waren ein so inniges und glücklichesPaar gewesen, auch nach Jahren noch total voneinander hingerissen. Wie Veronica ihn immer angesehen hatte, mit ihrem typischen Augenzwinkern, man war jedes Mal beinah verlegen geworden, wenn man das zufällig mitbekam.
Wie mochten andere Timo und sie wohl sehen?
»Ich wusste in dem Traum nicht, wie ich im Haus noch Platz für Niels und Toby schaffen sollte«, schwatzte Bobbie weiter. »Das Heiraten fand ich schon verrückt genug, aber na ja, so was kann passieren. Nur braucht man dann schon ein Zimmer für die Kinder von so jemandem.« Sie schaute sich um. »Haben wir keine Wurst?«
»Hier«, sagte Gwen.
»Ja, das sehe ich. Aber ist das alles?«
»Das muss reichen. Wenn wir Timo glauben sollen, reicht es demnächst sowieso nur noch für Grießbrei.«
»Damit hat Rainier Paping immerhin die Elfstedentocht gewonnen.«
»Bob! Du klingst ja wie Veronica.«
»Das hab ich auch von ihr.« Bobbie schnitt die Wurst in hauchdünne Scheibchen. Sie lachte fröhlich auf. »Wenn sie noch leben würde, hätte ich
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