Der Ausflug
bisweilen angebracht, berechtigt und willkommen waren? Und wenn Yaja nur stumm mit einer Fleisch fressenden Pflanze aufgekreuzt wäre, das hätte schon genügt! Traute Leander sich womöglich nicht, seine Tochter zur Rechenschaft zu ziehen? Dieser Schisser, hatte Yaja ihn schon mal genannt.
Jetzt war es nur gut, dass ihr Geliebter längst schlief und keinen Zugang zu ihren Gedanken hatte. Das bist nicht du, Beatrijs, so kenne ich dich gar nicht. Hier spricht lediglich dein Ego . Glaub mir, das bist nicht du.
Sie kramte in ihrer Schublade nach dem Fläschchen mit ätherischem Öl, um sich die Stirn damit einzureiben. Es lag außer Reichweite. Sie musste auf die Schwester warten. Wo blieb die fröhliche Blonde mit dem schönen Mund? Mehr Geld für die Pflege! Laurens war mit seinem Besuch nur darauf aus gewesen, ihr Ego anzuzapfen, indem er ihre Gefühle als etwas hinstellte, dem man Rechnung zu tragen hatte, wirklich, als spielten Gefühle irgendeine Rolle, man hing vielmehr wie eine hilflose Marionette an den Fäden der Gefühle, solange das Ego die Regie führte. Erst wenn man die Ketten des Egos zu sprengen verstand, bekam man Flügel. Wenn nicht, schleppte man sich weiterhin wie eine jämmerliche, ölverschmierte Möwe stolpernd über den Strand, anstatt frei über den Wellen, ja über den Wolken dahinzusegeln, mit mächtigem, ruhigem Flügelschlag.
»Hier bin ich«, sagte eine vertraute Stimme nah an ihrem Ohr. »Weshalb die Tränen?«
Sie konnte es nicht erklären. Sie wandte das Gesicht ab und streckte die Hand aus, die Handfläche nach oben: Geben Sie mir jetzt meine Tablette, schenken Sie mir Vergessen.
»Nie die Hoffnung sinken lassen, hörst du.«
Mechanisch schüttelte sie den Kopf. Sie wischte sich die nassen Wangen am steifen Leinen des Kissenbezugs ab. Hieß es übrigens nicht, »Nie den Mut sinken lassen«? Sie schaute in ihre Hand. »Schwester, ich habe meine Schlaftablette noch nicht.«
Wo war denn die Schwester jetzt? Beatrijs blinzelte. Das Zimmer war leer. Offenbar war sie kurz eingenickt. Seltsam, wie erfrischt und klar sie sich fühlte, obwohl sie bestimmt nicht sehr tief geschlafen hatte. Genau wie Veronica immer behauptet hatte: »Schläfst du auch nicht, so ruhst du doch aus.« Ihr war fast, als habe sie einen ermunternden Schubs bekommen. Morgen würde sie Leander einfach geradeheraus fragen, was Laurens denn nun eigentlich von ihm wollte.
Das Glatteis hatte zu einer Massenkarambolage geführt, wodurch am späten Abend ein Stau entstanden war. Damit hatte Gwen auf jeden Fall eine gute Ausrede, wieso sie so wahnsinnig spät aus Amsterdam zurückkam. Als sie dann aber, auf der einzigen noch freien Fahrspur im Schneckentempo vorwärtskriechend, endlich an dem Trümmerhaufen aus zerknautschtem Blech und Glasscherben vorüberkam, zuckte sie doch kurz zusammen. Wie zerbrechlich das Leben war. Vom einen auf den anderen Moment zerrann einem alles zwischen den Fingern. Unwillkürlich fragte sie sich, wohin es sie verschlagen würde, wenn sie jetzt, in diesem Augenblick, aus dem Leben gerissen würde.
Klaar und Karianne glaubten momentan fest an die Hölle.
Wo sie diese Überzeugung herhatten, war ihr unbekannt, hoffentlich nicht aus einem vorigen Leben. Beim Beschreiben dieses gräulichen Ortes legten ihre Töchter eine ungezügelte Wollust an den Tag. Ihrer Ansicht nach war die Hölle so was wie ein gewaltiger Müllverbrennungsplatz voller rauchender Schwefeltümpel und Feuer, wo Peinigungen ohne Ende stattfanden. Ein finsterer Typ namens Stan lief dort herum, der aussah wie Zorro – er war der Chef –, und schlug mit einer großen Sense jedermanns Knochen und häufig auch noch die Zähne zu Brei. Dort war der Tag zur pechschwarzen Nacht geworden, und es war »tausend Grad heißer als in kochendem Wasser«. Timo musste immer schallend darüber lachen.
Das Bild ihres über die Hölle lachenden Mannes tauchte vor ihr auf. War es bloße Naivität von ihm, oder sprach daraus der schiere Unwille, sich auch mal mit dem Nichtgreifbaren zu befassen? Doch sie konzentrierte sich besser auf die Straße, sonst landete sie noch an der Leitplanke. Auf diesem Abschnitt war zwar schon gestreut, aber man konnte nie wissen.
Nein, man wusste in der Tat nie, wann das Leben plötzlich eine Wendung nehmen würde, die man nicht vorhergesehen hatte. Früher hätte sie gegen diesen fatalistischen Gedanken rebelliert und das als Zeichen für gesunden Menschenverstand gewertet. Doch Babettes Entführung hatte
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