Der Ausloeser
heben. »Ich weiß, du kannst nichts dafür, aber wir können dir einfach nicht trauen.«
»Schon klar, Mitch. Du sagst, wo’s langgeht«, meinte Alex. Aber warum eigentlich? Ihm konnte es doch egal sein, ob Ian rausflog oder nicht. Nein, eigentlich pisste ihn eher an, wie sehr Mitch sein neu entdecktes Ego rauskehrte. »Wir beugen uns deinem weisen Urteil.«
»Er hat recht.« Jenns Stimme verriet keinerlei Emotionen. »Tut mir leid, Ian.«
»Aber …« Mit bettelndem Blick schaute Ian von einem zum anderen. Alex hätte ihn am liebsten in den Arm genommen. »Aber das ist doch Quatsch. Wir sind doch Freunde. Ich brauche euch, und ihr braucht mich.«
Mitch schüttelte den Kopf. »Das war mal, Ian.«
Teil 3 – Spieltheorie
Man könnte sagen, das Universum ist so konstituiert, dass es ein Maximum an Spiel hervorbringt. Und die besten Spiele sind nicht jene, die reibungslos verlaufen, die sich geradlinig einem sicheren Ausgang nähern, sondern jene, über deren Ergebnis niemals Gewissheit herrscht.
– George B. Leonard
25
IAN FUHR MIT DEM TAXI NACH HAUSE. Während er auf der Rückbank saß und abwechselnd unter Schüttelfrost und Hitzewallungen litt, spielte er ein Spiel mit sich selbst. Sogar jetzt konnte er es nicht lassen. Wahnsinn.
Diesmal lautete die Preisfrage: Hast du dich jemals, in deinem gesamten Leben, beschissener gefühlt?
Erste Runde: Achte Klasse. Er wollte unbedingt nach Six Flags, vor allem wegen der Achterbahnen. Den ganzen Sommer war er seinem Vater deswegen in den Ohren gelegen, bis Dad endlich ein Einsehen hatte und ihn und seinen besten Freund Billy Martin in seinen F-150 Pick-up packte. Während sein Vater noch den Kopf über den Eintrittspreis schüttelte, lief Ian schon zur spektakulärsten Bahn im ganzen Park, einem wahren Monster aus jähen Abstürzen und steilen Loopings. Eine Stunde lang mussten sie in der Schlange stehen und den kreischenden Fahrgästen lauschen, die kurz darauf wankend aus den Wagen kletterten. Zuerst konnte Ian es gar nicht erwarten, doch mit jedem Schritt wuchs eine dunkle, flatternde Angst in seinem Inneren. Warum? Weil es keinen Weg zurück gab, sobald man im Wagen saß. Weil man immer höher stieg, immer höher und höher. Dann ein kurzer, schrecklicher Moment des Innehaltens, der Stille, bevor der Wagen unaufhaltsam in die Tiefe stürzte.
Schließlich öffnete ihnen ein gelangweilter Teenager das Tor. Sie traten auf die Plattform. Der Wagen wartete schon. Um sie herum die lachende Menschenmasse, in der Luft ein süßliches Mischmasch aus Zuckerwatte und Hamburgerduft, krächzende Möwen über ihren Köpfen.
Als sie einsteigen sollten, sagte Ian: »Ich will nicht.«
Er erinnerte sich bis heute, wie ihn sein Vater in diesem Moment angesehen hatte. Manchmal träumte er sogar davon: ein Blick voller Verachtung, die Lippe gekräuselt, dahinter ein glasklarer Gedanke: Und dieses Weichei soll mein Sohn sein?
»Na gut«, sagte Dad. »Dann wartest du hier.« Er nickte Billy zu. »Und du? Willst du auch nicht?«
Natürlich wollte er. Also kletterten die beiden auf die vordersten Sitze des vordersten Wagens. Wie Vater und Sohn, während Ian zuschauen durfte.
Ja, das war schlimm gewesen. Aber lange nicht so schlimm wie jetzt.
Auf zur zweiten Runde: Sein erstes Jahr an der University of Tennessee. Mann, war er verknallt – in Gina Scoppetti, eine feurige Italienerin mit intelligenten braunen Augen. Ihr Körper erinnerte ihn an sein Lieblingsfoto in dem geklauten Penthouse -Heft, das ihn seine gesamte Teenagerzeit über in den Bann geschlagen hatte: ein Mädchen, lang ausgestreckt neben einem kristallklaren Pool, wahrscheinlich irgendwo in Kalifornien, auf jeden Fall meilenweit entfernt von seiner Welt, in der freitagabends Football geguckt und an Schweinekrusten geknabbert wurde. Und Gina liebte ihn auch! Behauptete sie zumindest, und so fantasierten sie über ihre gemeinsame Zukunft, bekritzelten sich gegenseitig mit Filzstift und rieben sich aneinander, bis er sich den ganzen Körper aufgeschürft hatte.
Dann erzählte ihm irgendwer, sie hätte sich auf einer Verbindungsparty derart besoffen, dass sie in einem Hinterzimmer drei Typen abgelutscht hätte. Als er sie zur Rede stellte, brach sie in Tränen aus. Angeblich konnte sie sich an nichts erinnern, das war alles gelogen, sie liebte ihn doch, natürlich hatte sie getrunken, aber … Er wollte ihr glauben, doch er sah es direkt vor sich, die drei Kerle mit ihren teuren Klamotten und strahlend
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