Der Ausloeser
sie mit ihren Blicken.
»Tut mir leid, das wollte ich …«
»Scheiße, Mitch, was ist denn los mit dir? Du bist ganz anders als früher.«
»Wie meinst du das?«
»Ich weiß nicht, du hast dich in einen völlig anderen Menschen verwandelt. Klar, die letzten paar Tage waren der reinste Wahnsinn, aber …«
»Lass das, okay? Im Gegensatz zu euch tue ich, was getan werden muss. Und ob du’s glaubst oder nicht, wenn ihr zur Polizei geht, wandere ich in den Knast. So einfach ist das.«
»Das kannst du doch gar nicht wissen.«
»Oh doch. Und du weißt es auch.«
»Okay, dann erzählen wir ihnen eben nur die halbe Wahrheit. Was weiß ich, dass wir die Flaschen irgendwo gefunden haben oder so.«
»Ach so, wir sind also rein zufällig in der Gasse über die Dinger gestolpert. Super Idee. Jetzt schalt doch mal dein Hirn ein!«
Abrupt blieb sie stehen. Sie fuhr herum, baute sich vor ihm auf und betrachtete ihn mit blitzenden Augen. »Wag es ja nicht. Glaub ja nicht, du könntest dir alles erlauben, nur weil wir miteinander im Bett waren.«
Er hob die Hände. »Tut mir leid.«
Sie starrte ihn noch eine Sekunde an, ehe sie sich umdrehte und entschlossen losmarschierte. Obwohl er deutlich größer war, konnte er kaum mithalten. »Bitte, hör mir zu. Ich versteh dich. Du hast Angst.«
»Natürlich hab ich Angst. Genau wie du. Aber du willst es nicht zugeben.«
»Bitte, Jenn, hör mir zu. Nur eine Sekunde, okay?« Mittlerweile hatten sie das Nordende des Millennial Park erreicht. Jenn ging unbeirrt weiter, geradewegs über die Randolph Street. Hupen kreischten, Bremsen quietschten, doch sie blieb nicht stehen, sondern teilte den Verkehr wie das Rote Meer. Selbst jetzt, als alles den Bach runterging, raubte ihm ihr Anblick den Atem. »Jenn, jetzt hör mir doch mal zu. Bitte!«
»Nein. Ich will nach Hause.«
»Okay, ich komm mit.«
»Nein.«
»Gut, dann eben nicht. Aber bitte, hör mir eine Sekunde zu.«
Sie trat auf den Gehsteig. »Ich höre.«
»Du hast recht, ich hab Angst. Ich geb’s zu, okay?« Er rang die Hände, als würde er einen unsichtbaren Ball kneten. »Ehrlich gesagt, hatte ich von Anfang an Angst.« Erst als er es ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, dass er die Wahrheit sagte. Was tat er hier nur? Was hatte er getan?
Weg. Da. Mit.
Er bemühte sich um einen ruhigen, sachlichen Tonfall. »Aber wir müssen das Ganze realistisch sehen. Wir können nicht zur Polizei gehen. Kann sein, dass ihr drei gerade noch davonkommt – ich weiß es nicht. Aber ich habe keine Chance. Das muss dir doch klar sein.«
Ein Schatten flackerte über ihr Gesicht wie eine vorüberziehende Wolke. Sie blickte auf den halbfertigen Wolkenkratzer im Westen, tastete das Gerüst mit den Augen ab. »Du hast es für mich getan, oder? Ich meine nicht … nicht das in der Gasse. Sondern überhaupt. Du hast nur wegen mir mitgemacht, oder?«
»Nein.«
»Doch.« Sie rieb sich die Stirn. »Ich hab versucht, mir einzureden, ich hätte dich nicht manipuliert. Aber ich wusste die ganze Zeit, was du für mich empfindest, und das habe ich ausgenutzt. Ich wollte es unbedingt durchziehen. Ich wollte unbedingt mein Abenteuer.«
»Ich …« Mitch hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Aber was?
»Das war falsch. Es tut mir leid.«
»Muss es nicht. Ja, vielleicht hab ich wegen dir mitgemacht. Kann sein. Aber weißt du was?« Er zuckte die Schultern. »Dann hatte ich wenigstens einen guten Grund.«
»Aber jetzt sitzen wir in der Scheiße.«
»Nein. Wir müssen nur noch ein bisschen durchhalten, dann wird alles gut.«
»Das glaubst du doch selber nicht.« Ein Lächeln wie eine verwelkte Blume. Sie hakte sich bei ihm unter. »Wenn du mich fragst, hat es gerade erst angefangen.«
Durch das Seitenfenster der Limousine beobachtete Victor, wie Jenn und Mitch Arm in Arm die Straße hinunterliefen.
»Was denken Sie, spielt sie mit offenen Karten?«, fragte Bennett, der neben ihm auf der Rückbank saß.
»Nicht nur das. Sie ist ein offenes Buch. Die anderen auch – vier harmlose Leutchen, die sich komplett verrannt haben. Die klammern sich an jeden Strohhalm, den sie kriegen können.«
»Und wenn sie mit der Ware zu den Cops gehen? Das Zeug ist nicht ohne.«
»Auf diese Idee werden sie nicht kommen. Das sind Zivilisten. Wenn die ans Gefängnis denken, denken sie ans Fegefeuer, Höllenqualen und so weiter.«
»Sie glauben also, die vier werden sich an die Abmachung halten, weil sie nicht von irgendwelchen Knastbrüdern in den
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