Der Ausloeser
Sie hatte sich ein bisschen Eskapismus verdient.
Deshalb war sie nicht gerade begeistert, als es plötzlich an der Tür klopfte. Sie marschierte zügig über die Dielen und riss die Tür auf. »Mann, ich hab dir doch gesagt, ich brauch ein bisschen Abstand …«
Vor ihr stand Alex.
»Oh.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Aus unerfindlichen Gründen fühlte sie sich ertappt und ein klein wenig lächerlich. »Du.«
»Ja, ich. Bitte hör mir zu. Ich hab nur kurz Zeit, Cassies Fußballspiel geht gleich los, und ich hab ihr versprochen, dass ich komme. Aber ich wollte … Vorhin, vor den anderen, konnte ich es dir nicht sagen. Erst Victor, dann Mitch, ich hab mich dermaßen aufgeregt.« Er atmete aus. »Egal. Auf jeden Fall tut es mir leid.«
»Okay. Danke.«
Er setzte ein reumütiges Lächeln auf. »Du warst ziemlich angepisst, oder?«
»Ja. Du hast uns eiskalt im Stich gelassen.«
»Das hab ich nicht gemeint.«
»Ach nein?«
»Nein. Das musste ich tun. Ich muss an meine Tochter denken.«
»Und wir müssen an niemanden denken?«
»Doch, natürlich. Aber … das kannst du nicht verstehen, du hast keine Kinder. So ein Kind ist … wichtiger als alles andere. Viel wichtiger. Und als Victor meinte, er würde sie … Glaub mir, wären seine Männer nicht gewesen, hätte ich seine Fresse durch die Tischplatte gerammt.«
Jenn wusste nicht, was es war – vielleicht seine Haltung, die Anspannung seiner Schultern –, doch sein Anblick rührte sie. Wahrscheinlich eine instinktive Reaktion. Vor ihr stand ein Mann, der vor nichts zurückschreckte, wenn es um seine Familie ging. »Das wäre wohl keine gute Idee gewesen.«
»Nein.« Er zögerte. »Ich werde Cassie verlieren, Jenn.«
»Vielleicht nicht. Mitch meint, wenn wir Victor das Zeug geben, wird er …«
»Nicht wegen Victor. Wegen meiner Frau und ihrem Mann. Sie ziehen nach Arizona.« Er blickte zu Boden und rieb sich den Nacken. »Weißt du, ich … ich hab Trish das Geld gegeben. Ja, ja, natürlich war das ein Fehler, aber ich musste es tun, genau wie Ian seine Schulden zahlen musste. Aber die haben schon auf mich gewartet, mit ihrem Anwalt, einem aalglatten Typen, einem richtigen Killer, und der …«
»Ich glaub es nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Das wird ja immer besser.«
»Was?«
»Vorhin hast du dich wie sonst was über Ian aufgeregt – und jetzt sagst du mir, du hast genau dasselbe gemacht!?«
»Das ist was anderes …«
»Ja, klar. Ist es ja immer, was? Deine übliche Masche eben. Du siehst nur, was du sehen willst, du redest dir irgendwas ein, was dir in den Kram passt, und alles andere wird ausgeblendet. Natürlich kannst du da nicht einfach reinspazieren und das Geld mitbringen, und schon ist alles in bester Ordnung. Hast du wirklich gedacht, das würde funktionieren? Wie kann man nur so blind sein? Aber du hast es ja schon immer geschafft, das Offensichtliche einfach zu ignorieren. Erst deine Ehe, dann dein Job, der Unterhalt, sogar das mit …« Sie verstummte.
»Sogar das mit uns. Das wolltest du doch sagen, oder?« Er seufzte. »Und wahrscheinlich hast du recht. Deshalb bin ich ja gekommen. Um mich zu entschuldigen.«
Sie schwieg. So billig würde er nicht davonkommen.
»Ich weiß, ich war dumm. Du hast recht, mit allem, was du gesagt hast.« Er sah ihr offen, aber auch ein wenig herausfordernd ins Gesicht. »Neulich, als ich mitten in der Nacht aufgetaucht bin, da … Na ja, ich kam grad von Trish … Das heißt, eigentlich aus einer Kneipe … Auf jeden Fall war ich völlig am Ende. Ich brauchte jemanden, der mich tröstet, der mir wieder auf die Beine hilft. Und du warst der einzige Mensch, der mir eingefallen ist.«
Sie starrte ihn an – sein kantiges Kinn, die Muskeln, die sich deutlich unter dem Hemd abzeichneten, die dunklen, ruhelosen Augen. Es gab Zeiten, da hätte es sie sehr glücklich gemacht, diese Worte aus seinem Mund zu hören. Sie hatten sich eingeredet, ihre Affäre wäre ein reiner Zeitvertreib, sie wollten nur ein bisschen Spaß haben, aber wenn sie ehrlich war, tickte sie völlig anders. Keine Frau wollte nur Spaß haben, nicht wirklich. Egal, was sie sich gegenseitig vorgelogen hatten, auch wenn sie ihre Beziehung vor den anderen verheimlicht hatten – sie konnte nicht ein Jahr lang mit einem Mann ins Bett gehen, ohne etwas für ihn zu empfinden. Ohne auch mal über die Zukunft nachzudenken. Ja, früher hätte es sie sehr glücklich gemacht, zu hören, was er ihr gerade gesagt hatte. Mehr als
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